Lilly Höschen (01): Walpurgismord
Kanada. Man will uns das Projekt, für das ich jahrelang gekämpft habe, auf den letzten Metern vor dem Ziel wegnehmen. Können Sie schnell Ihre Zahnbürste einpacken und mit mir nach Kanada fliegen?«
»Wann?«
»Sofort.«
»Ich habe in den nächsten Tagen keine Termine bei Gericht. Und alles andere kann ich verschieben. Okay, ich komme mit.«
»Das ist super! Es geht heute abend ein Flug von Hannover nach London mit sofortigem Anschluss nach Kanada. Wenn Sie in zwei Stunden bei mir sind, liegen wir gut in der Zeit.«
Gisela Berger hatte bei der ehemaligen Kollegin von Michael Leutkamp noch einmal Druck gemacht. Diese wollte sofort alle möglichen Bekannten kontaktieren, um herauszufinden, wen er geheiratet hatte. Nun saß sie an ihrem Schreibtisch und starrte das Telefon an, sie beschwor es geradezu.
»Verdammte Scheiße, jetzt komm in die Gänge, Mädel!«
Schneider schaute kurz auf und amüsierte sich über den Ausbruch seiner Assistentin, kommentierte diesen aber nicht. Denn er war selbst auf ein Höchstmaß angespannt. Als bis 18:00 Uhr immer noch kein Rückruf aus Amerika gekommen war, sagte er:
»Gisela, jetzt gehen Sie nach Hause. Ich bleibe noch eine Stunde hier. Dann kann ich ja noch mal anrufen und der Dame in Amerika meine Handynummer geben.«
»Nä!«
»Was heißt hier nä? Sie haben seit einer Stunde Feierabend, und ich will Ihnen etwas Gutes tun. Es bringt doch nichts, hier zu sitzen und zu warten.«
»Ich habe es im Gefühl. Ich weiß, dass wir heute ein ordentliches Stück weiterkommen. Ich weiß es einfach. Und dann kriegen wir den Kerl am Arsch.«
»Gisegisegisela! Manchmal sind Sie nicht zu bremsen. Also gut, dann geh ich erst mal nach Hause. Aber wenn der Anruf kommt und er ergibt etwas...«
»...dann rufe ich Sie sofort an. Ist doch klar. Und wenn es mitten in der Nacht ist.«
Um 21.00 Uhr rief Gisela wieder in Amerika an. Die Dame sagte, dass sie heute sicherlich den Namen herausfinden könne. Allerdings sei die frühere Kollegin, die Leutkamps mutmaßliche Frau gut kannte, unterwegs. Aber sie wolle sich um 20:00 Uhr Ortszeit, also um 3:00 Uhr deutscher Zeit mit ihr treffen. Und dann würde sie sofort zurückrufen.
»Aber sind Sie denn um diese Zeit im Büro?«
»Oh, kein Problem, ich kann sowieso nicht schlafen. Ich bleibe, wenn es sein muss, die ganze Nacht im Büro.«
»Mein Gott, die Deutschen sind ja tatsächlich so fleißig, wie immer gesagt wird.«
Gisela lächelte, bedankte sich und legte auf.
Nachts gegen 4:00 Uhr klingelte endlich das Telefon.
Goslar, 8. September 2010
Gisela hatte ihren Chef aus dem Bett geklingelt. Eine Viertelstunde später stand er im Büro. Gut gelaunt, als ob es das Selbstverständlichste wäre, um diese Zeit zu arbeiten, setzte er sich Gisela gegenüber und sagte:
»So, jetzt schießen Sie mal los.«
»Also, Michael Leutkamp hat 1995 eine Frau namens Rita Wiebe geheiratet und ist mit ihr in ihre kanadische Heimat gezogen. Leutkamp hat den Namen Wiebe angenommen. Und um seine Spuren noch besser zu verwischen, nennt er sich auch nicht mehr Michael, sondern Manfred. Das ist sein zweiter Vorname. Er hat übrigens die kanadische Staatsbürgerschaft. Seine Frau ist vor ein paar Jahren gestorben. Ich hoffe, er hat sie nicht auch abgemurkst. In Winnipeg hat er sich an einem deutschen Unternehmen beteiligt und dort eine kanadische Dependence aufgebaut. Die Firma heißt Beermann Consult und beschäftigt sich mit der Finanzierung von Diamantenminen. Der Hauptsitz dieser Firma ist in...«
Jetzt lächelte Gisela ihren Chef dümmlich an und hielt den Mund geschlossen. Schneider wurde unruhig, obwohl er diese Spielchen seiner Assistentin kannte.
»Für Ihre Rätselstunde ist es mir doch noch etwas zu früh. Der Hauptsitz der Firma ist in?«
»Goslar!«
Jetzt fiel dem Kommissar die Kinnlade herunter.
»Das kann nicht wahr sein.«
»Oh, liebes Kommissarchen, es kommt noch besser.«
»Noch besser?«
»Der gute Herr Wiebe wohnt sogar hier und steht im Telefonbuch, so sicher fühlt er sich. Er bildet sich tatsächlich ein, dass er nur den Namen zu wechseln braucht, und seine alte Existenz ist futsch. Und ich Idiotin schaue in allen Telefonbüchern dieser Welt nach und erst zum Schluss in Deutschland, um dann herauszukriegen, dass er in Goslar ist.«
»Wo wohnt er?«
»Tausend Meter Luftlinie von hier, in der Altstadt. Er hat eine Wohnung in dem Haus, in dem sich auch das Unternehmen befindet.«
»Hervorragend. Dann will ich mal den
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