Lilly Höschen (01): Walpurgismord
die mir um diese Uhrzeit etwas wichtiges zu sagen hätte, kenne ich nicht. Wahrscheinlich war das irgendein Mandant, der meine Handynummer hat. Soll er doch gefälligst in der Kanzlei anrufen. Ich stelle das Ding jetzt aus, bevor noch mehr Leute meinen, mich hier in der Pampa stören zu können und sich dann über ihre Telefonrechnung ärgern.«
»Richtig, man muss auch mal Ruhe vor dem ewigen Geklingel haben. Apropos Ruhe: Es ist möglich, dass ich die Nacht nicht hier verbringen kann. Vielleicht werde ich noch abgeholt. Dann verbringe ich den Rest der Nacht in der Wildnis und sehe mir morgen früh die neue Schürfstelle an. Sie müssten dann ohne mich verhandeln. Aber unser Anwalt aus Winnipeg wird morgen früh gegen zehn hier sein. Sie machen das dann schon. Sie kennen sich ja in der Materie besser aus als ich. Und wenn Sie alles unter Dach und Fach gebracht haben, können Sie nach Hause fliegen. Ich weiß noch nicht, wann ich fertig bin. Im Grunde hätte ich auch noch was in den USA zu erledigen. Ich weiß noch nicht recht. Auf jeden Fall bin ich in ein paar Tagen auch wieder zu Hause und melde mich dann bei Ihnen.«
Goslar, 8. September 2010
Herr Beermann saß zusammen mit Kommissar Schneider, dessen Assistentin und Staatsanwalt Huber im Besprechungszimmer seiner Firma. In seiner langsamen, behäbigen Art sagte er in altersschwacher, hoher Tonlage:
»Könnte es sein, dass Sie verrückt geworden sind, meine Herrschaften? Sie holen mich um diese Zeit aus dem Bett, kreuzen hier mit einem Heer von Polizisten auf und stellen das Büro meines Partners auf den Kopf. Ein Anruf beim Finanzamt hätte Ihnen klargemacht, dass bei uns alles in Ordnung ist. Wir machen nur seriöse Geschäfte und wir zahlen unsere Steuern.«
»Herr Beermann, es tut uns sehr leid, dass wir Ihnen solche Unannehmlichkeiten bereiten. Aber es geht hier weder um Sie noch um Ihre Firma. Es geht einzig und allein um Ihren Partner, Herrn Wiebe. Also quasi um das Privatleben von Herrn Wiebe.«
»Dann setzen Sie sich doch auch privat mit ihm in Verbindung.«
»Das würden wir gern tun. Aber er ist ja nicht da.«
»Mir scheint, ich leide unter Altersschwachsinn. Herr Wiebe ist fast immer da, es sei denn, er ist auf Geschäftsreise, was heute der Fall ist. Also gehen Sie zurück in Ihre Dienststelle und kommen Sie wieder, wenn er anwesend ist. Das dürfte in den nächsten Tagen der Fall sein. Wenn Sie nicht warten können, gebe ich Ihnen seine Handynummer.«
»Wir müssen ihn persönlich sprechen.«
»Wenn es nicht zwei, drei Tage Zeit hat, dann sollten Sie sich auf den Weg zum Flughafen machen und nach Kanada fliegen.«
»Herr Beermann«, sagte nun Schneider in seiner sehr verbindlichen Art, »Sie können uns glauben, dass es uns außerordentlich leid tut und sehr unangenehm ist, unbescholtene Menschen wie Sie auf diese Art und Weise zu bedrängen. Aber bitte glauben Sie uns, wenn es nicht von größter Wichtigkeit wäre, würden wir um diese Zeit lieber in unseren Betten liegen.«
»Was soll Herr Wiebe denn angestellt haben? Er ist einer der freundlichsten Menschen, die ich kenne. Es ist unvorstellbar, dass er irgendetwas getan haben soll, was solch eine Aktion rechtfertigt. Das werden Sie mit Sicherheit feststellen, wenn Sie ihn persönlich sprechen.«
»Gut, das werden wir ja dann sehen.«
»Sie haben mir meine Frage nicht beantwortet, junger Mann. Was wird Herrn Wiebe vorgeworfen?«
»Aus ermittlungstaktischen Grü...«
»Hören Sie auf mit dem Quatsch! Sie dringen hier ein, holen mich aus dem Bett, schädigen den Ruf meiner Firma durch Ihre Aktion und erzählen mir sonstwas. Und wenn ich dann eine konkrete Frage stelle, wimmeln Sie mich ab wie ein kleines Kind. In meiner Militärzeit hätte ich Ihnen für diese Frechheit den Arsch bis zum Stehkragen aufgerissen!«
Gisela entfuhr ein Lacher. In diesem Moment kam ein Beamter an die Tür, um Schneider zu signalisieren, dass man in Wiebes Büro nichts Belastendes gefunden hatte.
»Gut, Herr Beermann, ich bin froh, dass ich nicht beim Militär bin und denke, wir belassen es erst mal dabei. Es wäre sehr im Interesse unserer Arbeit, wenn Sie nicht versuchen, Herrn Wiebe in Kanada anzurufen.«
»Das interessiert mich nicht. Ich werde ihn auf jeden Fall anrufen.«
»Ich kann Sie nicht daran hindern. Noch eine Frage: Wo genau hält sich Herr Wiebe in Kanada auf.«
»Ausgangspunkt ist unser Büro in Winnipeg. Zur Zeit dürfte er in der Gegend von Thompson sein. Das ist achthundert
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