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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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wünschte. Er war nicht so, er brauchte sie, um es zu werden.
    Es war föhnig in Salzburg, als das Paar aus dem Zug stieg und mit dem Taxi in den Ortsteil Aigen fuhr, in dem Clarissa Felderer mit dem Hund ihres Sohnes lebte. Batu war ein großer, schwarzer Mischling, den Oskar in der Hafenstadt Batumi am Schwarzen Meer vor dem Hungertod gerettet hatte. Oskar hatte Lilly vor ihm gewarnt. Zuerst würde er sich aus Angst heiser bellen und dann alles versuchen, um ihr Gesicht abzulecken.
    Das zurückhaltend renovierte alte Haus stand inmitten eines kunstvoll verwilderten Gartens. Der Türstock am Eingang war so niedrig, dass Lilly, die Kopfweh hatte und nervös war, sich leicht bücken musste. Oskar war vorausgegangen, rief nach seiner Mutter und versuchte gleichzeitig, Batu zu beruhigen, der sich freute, dass sein „Herrl“ endlich wieder da war. Dann kam sie. Es genügte eine einzige Sekunde und Lilly wusste, dass sie ihrer schärfsten Konkurrentin gegenüberstand. Das schlohweiße, kurze, dichte Haar, mit einem strengen Schnitt gebändigt, die stahlblauen Augen, durch eine Seidenbluse in gebrochenem Weiß betont, die schlanke Figur mit einer schmalen, schwarzen Hose und einem zierlichen, cremefarbenen Ledergürtel unterstrichen – kühl, elegant, selbstsicher. Eine kleine Frau, kaum mehr als ein Meter sechzig groß, aber mit der Ausstrahlung ­eines Generals.
    Sie lächelte mit ihrem breiten Mund, den Oskar von ihr geerbt hatte, aber ihre Augen blieben kalt: „Da ist sie ja endlich, die Frau, von der mein Sohn so oft spricht.“ Sie hob den Satzteil „mein Sohn“ hervor, und Lilly sah förmlich, wie sie die beiden Wörter auf einen kleinen Thron setzte. „Ich muss mich entschuldigen, normalerweise koche ich, wenn mein Ossi nach Hause kommt, aber für Sie sind meine Kochkünste nicht gut genug.“ Sie warf sich in die Arme ihres Sohnes und küsste ihn zuerst auf die Stirn und dann innig auf beide Wangen. Die enge Beziehung der beiden war unübersehbar, Lilly kam sich wie ein Eindringling vor.
    Oskar lächelte sie gequält an, als seine Mutter ihn auch noch mit seinem Kosenamen anredete, und hauchte ihr ein „Sorry“ ins Ohr. Doch er legte seinen Arm erst um ihre Schultern, als die Hausherrin sich mit dem Satz „Dann wollen wir die Besichtigung hinter uns bringen“ abrupt umdrehte und mit einer künstlich einladenden Geste ins große Wohnzimmer vorausging. Es gab eine Führung durchs Haus, das geschmackvoll und sehr elegant eingerichtet war, es gab ein Mittagessen im Hotel Österreichischer Hof , und es gab eine neue Feindschaft.
    Oskar hatte bei der Geburt von seinem Vater den schönen Namen Baldini bekommen, mehr nicht. Seine Verwandtschaft wollte nichts mit ihm zu tun haben. Sie waren Champagner­produzenten im Elsass und hatten kein Interesse an dem „untergeschobenen Balg“. Als seine Mutter einen Mann fand, der anständig und bereit war, für sie und ihr Kind zu sorgen, ließ sie sich scheiden und heiratete wieder. Von ihrem zweiten Mann blieb nach seinem Tod nur der Name Felderer und eine Witwenpension. Es gab keine Fotos, keine Erzählungen, kein Bedauern, dass Clarissa nun wieder alleine war. Ihr Sohn war immer schon alles, was sie interessiert hatte.
    Im Zug zurück nach Wien trank Lilly im Speisewagen ein Viertel Grünen Veltliner und spülte den bitteren Geschmack des Tages hinunter: „Sie hasst mich“, sagte sie nüchtern zu Oskar, und er antwortete: „Sie hasst alle Frauen, für die ich mich inte­ressiere. Ich bin ihr Lebensinhalt.“
    Lilly schwieg und öffnete ihr virtuelles Zeitungsarchiv, wie sie die vielen Themen und Geschichten nannte, die sie in ihrem Hinterkopf verstaut hatte. „Muttersöhne“ war der Titel der Geschichte, die sie vor einem Jahr geschrieben hatte. Sie beschäftigte sich mit der Erkenntnis, dass Männer, die den Platz von tatsächlich oder emotional abwesenden Partnern einnehmen, als Spätfolge meistens Bindungsschwierigkeiten haben. Auf der ­einen Seite war der Platz neben ihnen für eine Frau nicht frei, weil er schon von der Mutter besetzt war. Auf der anderen Seite haben sie in ihrem emotionalen Erfahrungsgedächtnis gespeichert, dass eine enge Beziehung gefährlich ist, denn: Wer sich einlässt, wird manipuliert und benützt.
    â€žWo bist du, meine Elfe“, holte Oskar sie aus ihren

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