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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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sie auf ihre Mutter und auf Ralf hören sollen?
    Lilly hatte keine Zeit, den Gedanken zu vertiefen. Ein gut aussehender Mann, der seinen Mantel noch in der Hand trug, kam auf sie zu: „Wissen Sie, wer in diesem Affenzirkus die Braut ist? Ich bin gerade erst angekommen.“ Lilly schaute ihm amüsiert ins Gesicht. Er war braun gebrannt und schien irgendwo zu leben, wo meistens die Sonne schien. „Sie ist im Augenblick nicht im Raum“, sagte sie ganz ernst. „Dann lassen Sie uns abhauen, man wird uns nicht vermissen.“
    Lilly sah einen Augenblick zu Oskar hinüber, der gerade eine Frau mit langen schwarzen Haaren, die er ihr als Bea vorgestellt hatte, über das alte, wunderbar erhaltende Sternenparkett wirbelte. Seine schwarze Smokingjacke war im Rücken schon ganz durchgeschwitzt. Er tanzte ununterbrochen, seit das Personal einen Teil der damastgedeckten Tische zur Seite geräumt hatte. Sie hatten sich gemeinsam durch den ersten Tanz gequält, und nun waren seine Tanzpartnerinnen fast alles Frauen aus seiner Vergangenheit, die er als alte Freundinnen bezeichnete. Man sah, dass sie gut aufeinander eingespielt waren. Oskar war ein guter Tänzer, aber miteinander kamen sie nicht aus. Er tanzte alle Schritte „richtig“ und gleichzeitig so leicht, als hätte er sie gerade selbst erfunden. Lilly war auch eine gute Tänzerin, aber nur, solange sie sich frei bewegen konnte. Mit vorgegebenen Schritten kam sie nicht zurecht. Dann fing sie an zu stolpern und verhedderte sich in der vorgesehenen Abfolge.
    Sie überlegte einen Augenblick, ob sie mit dem neuen Gast, der sich inzwischen als enger Freund des Bräutigams vorgestellt hatte, einfach von ihrer eigenen Hochzeit für eine Weile abhauen sollte. Die Stiegen hinunter, flüchten aus dem viel zu feinen Ambiente. Hinaus auf den Graben und dann in eine gemütliche Bar. Die Freunde und Geschäftspartner von Paolo, die hier ihre geschäftlichen und politischen Interessen verfolgten, würden sie nicht vermissen.
    In diesem Augenblick machte die Musik eine Pause, und Oskar ließ seine Augen suchend durch den Raum wandern. Er entdeckte seine Frau und kam strahlend auf sie zu: „Mein Lieb, darf ich dir meinen alten Freund Robert Neumann vorstellen? Er baut Pipelines auf der ganzen Welt. Wir waren schon im Sandkasten Freunde und sind zusammen zur Schule gegangen.“
    Robert wurde unter seiner Bräune rot und sah sie beschwörend an. Lilly nickte beruhigend. Sie würde das kleine Intermezzo nicht erwähnen. Sie spürte, wie das Glück zurückkam. Oskar legte seinen Arm um ihre Schultern und küsste sie zärtlich auf die Schläfe. Alles war wieder gut. Aus den Augenwinkeln sah sie ihre Mutter und Ralf, die sich mit ernsten Gesichtern unterhielten.
    Es war zwei Uhr morgens, als Lilly müde vor den Resten der Hochzeitstorte stand und sich überlegte, ob es sich gehörte, wenn sie um eine Folie bat und sich ein großes Stück einpackte. Essen war in ihrer Familie etwas sehr Wertvolles. Zu lange hatten ihre Ahnen mütterlicherseits gehungert. „Es wird nichts weggeworfen“, war ein Grundsatz, dessen Missachtung im Bregenzerwald als Sünde geahndet wurde. Während sie überlegte, sah sie Oskar, der sich aufgekratzt mit einigen Gästen unterhielt und soeben wieder eine attraktive Frau zum Tanz aufforderte. Sie setzte sich müde auf einen der zierlichen, mit schwarzem Leder überzogenen Stühle und sah den beiden zu. Es war ein Tanz mit vielen kleinen, nervösen Schritten, dessen Namen sie nicht kannte. Wir werden nie gut miteinander tanzen, dachte sie resigniert. In diesem Augenblick schaute er zu ihr her, und sie deutete an, dass sie mit ihm sprechen wolle.
    Er kam, atemlos, verschwitzt und sagte begeistert: „Ach, meine Lilly, meine süße, kleine Frau, ist das ein schönes Fest, ich liebe dich so sehr.“
    Er legte seine Hände auf ihre Hüften und küsste sie. Lilly erwiderte seinen Kuss und löste sich dann rasch wieder von ihm: „Ich bin müde und möchte nach Hause, Oskar.“
    Er war bestürzt: „Wir können doch unsere Gäste nicht alleine lassen!“
    â€žDann gehe ich schon voraus, du kannst ja nachkommen.“
    Lilly hatte nicht erwartet, dass ihr Mann dem zustimmen würde. Die nächsten Minuten waren wie ein Albtraum. Sie schritt an seinem Arm durch die feinen Salons mit den braun getäfelten

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