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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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bezahlen, und im Hinausgehen höre ich einen der Polizisten zur Blumenverkäuferin sagen: „Na endlich, und nun erzählen Sie uns ­genau, was der Mann, der Sie belästigt hat, zu Ihnen gesagt hat.“
    25. März 1988
    Für zwei kurze Stunden gibt es für mich so etwas wie Normalität. Wir sind von Hannover nach Köln gefahren, ich verhandle mit einem Verlag über ein Buch zum Thema Sex im Alter. Ich möchte meine Zeitungsserie mit den älteren Frauen verwerten. Das ist mein offizieller Reisegrund, und Ralf kann ihn nennen, ohne zu lügen, falls die Polizei nach mir fragt. Wir wagen uns nicht zum Bahnhof und verzichten lieber auf die neueste Berichterstattung aus der Heimat. Ich habe inzwischen einen Vorgeschmack, wie es ist, mit einem Flüchtling zu leben. Selbst mein unbeschwerter Gang hat sich verändert. Ich mache kleinere, zögerliche Schritte und ziehe die Schultern zusammen. Nur nicht auffallen. Jeder Polizist kann eine Gefahr, jede gewöhnliche Fahrzeugkontrolle das Ende sein.
    â€žMinderheiten, die Vorurteilen ausgesetzt sind, müssen zusammenhalten und vernetzen sich daher besser.“ Ich denke an Ralfs Satz, als wir bei Fremden in der Kölner Südstadt an der Tür läuten. Das Paar öffnet uns lächelnd, ihnen genügt, dass ein Freund uns empfohlen hat. Günther bringt sofort Tee und Kekse, und Mark macht noch eine kurze Observierungsrunde. „Die Luft ist rein, ihr könnt euch entspannen“, sagt er und zeigt uns unser Zimmer. Es ist fantastisch, wie selbstverständlich uns seine Freunde aufnehmen. Es ist unsere einzige Möglichkeit, wenn wir nicht im Bus schlafen wollen.
    29. März 1988
    Wir sind unterwegs nach Frankfurt. Sehr früh, denn hier gibt es niemanden, bei dem wir wohnen können. Wieder ein Besuch bei einem Anwalt. Er wirkt kompetent und würde den Fall gerne übernehmen. Doch erst nach den Osterferien, bis dahin empfiehlt er uns, sehr vorsichtig zu sein. „Wenn Sie gefasst werden und sich nicht mehr selber stellen können, wäre das eine Katastrophe.“ Ich gehe auf die Toilette, bevor wir weiterfahren. Die Bordüre der Fliesen löst in mir eine Erinnerung aus. Plötzlich stehe ich wieder in meinem Hochzeitskleid vor dem Spiegel in der Hofkonditorei Demel und wundere mich über die fremde Frau, die heiratet. Jetzt bin ich wieder eine fremde Frau. Nicht schön und edel geschmückt. Erschöpft, mit Ringen unter den Augen, bewusst in einem Outfit, das mich der grauen Masse auf den Straßen näherbringt. „Bitte, Lilly, pass auf deine Garderobe auf. Keine bunten Sachen, keine extravaganten Schnitte, du bist schon durch deine Größe eine auffallende Frau.“ Ralf der Umsichtige, Ralf der Kluge hat mich vor meiner Abreise gewarnt. Ich denke plötzlich an meinen Vater. Er war ein stolzer, ehrlicher Mann. Für ihn war schon jeder, der am Sonntag eine Zeitung aus den frei zugäng­lichen Entnahmestellen stahl, ein Verbrecher. Was würde er dazu sagen, dass seine kleine Prinzessin einem Mann, der in einen Kriminalfall verwickelt ist, bei der Flucht hilft? Aus dem Dialog mit dem Anwalt tauchen die Wörter „gefasst werden“ auf. Sie machen sich selbstständig und verwandeln sich in Polizisten, die, einen Socken von Oskar in der Hand, mit einer Hundestaffel hinter ihm herjagen. „Lilly, du bist völlig neurotisch“, sage ich laut zu meinem Spiegelbild im Klo.
    Wir verlassen Frankfurt noch am Nachmittag. Vierspurige Straßen und Hochhäuser. Wird Oskar hier leben und um seine Freiheit kämpfen? Und würde ich dann mit den Kindern hierher ziehen? Der Gedanke lässt mich frösteln.
    Der schlechteste Platz für ein Gerichtsverfahren, darin sind sich alle Anwälte einig, ist Süddeutschland. Mit den Worten im Ohr – „und lassen Sie sich um Gottes willen nicht in Bayern ­erwischen“ – fahren wir trotzdem hin. Hier lebt Chris, er kann uns helfen, er hat Freunde, bei denen wir wieder übernachten können.
    1. April 1988
    Wir schlafen in einem Bastelkeller in einem Vorort von München. Oskar telefoniert viel. Mit Anwälten in Berlin, mit Freunden in Italien, mit Markus Längle in Wien. Ich habe Sehnsucht nach Lea und Niklas. Ich möchte, dass wir Ostern gemeinsam verbringen. Oskar will das nicht. Er hat Angst vor dem neuen Schmerz, vor dem neuen Abschied, davor, dass er noch einmal vor den Augen der Kinder

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