Lillys Weg
imaginären, blauen Schutzmantel aus Licht an. Ella hat es mir in Wasserburg gezeigt. Seit heute haben wir einen neuen Namen. Das heiÃt, eigentlich nur Oskar. Er wird sich Moosbrugger nennen. Es ist der Name meiner Vorarlberger GroÃeltern, sie können sich nicht mehr kränken, sie sind beide tot. Und sie hätten nichts dagegen gehabt, uns zu helfen. Ella hat uns den Personalausweis meines GroÃvaters mitgebracht. Das Foto ist alt, der Ausweis schon lange ungültig. Aber wenn man nicht genau hinschaut, sehen die beiden einander sogar ähnlich. Der Schwarzwald ist weit weg von Ãsterreich, und der Esmeralda-Skandal hat die deutsche Presse bisher nicht interessiert.
Ich war noch nie auf einem Campingplatz und fange an, die anderen Menschen zu beobachten. Viele kennen einander, sie scheinen jedes Jahr zu Ostern hierherzukommen und leben
wie zu Hause nach Regeln und Gewohnheiten. Vor dem Frühstück wird geduscht und danach sofort abgewaschen, obwohl ein Gedränge in den öffentlichen Duschen und bei den riesigen ÂIndustrie-Waschbecken entsteht. Am Abend hat bei einigen die beliebte Jogginghose frei und die schönen Kleider werden für den Aperitif in der Kantine ausgeführt. Dann gibt es Würste, gegrillte Koteletts, Bier und Wein. Unser Wohnmobil gefällt mir. Es ist geräumig und praktisch. Die Nomadin in mir erwacht und träumt von einem freien Leben. Im Süden in der Wildnis, dort wo es keine Campingplätze, keine Neckermann-Hotels und vor allem keine Polizisten gibt. Werden Oskar und ich jemals wieder gemeinsam eine Grenze überqueren können? Ich muss daran glauben!
3. April 1988
Heute ist Ostersonntag. Lea und Niklas suchen hinter Büschen und unterm Wohnmobil nach ihrem Osternest. Das Leben ist ganz normal. Sie probieren ihre neuen Rollschuhe aus und haben von zu viel Schokoladeneiern Bauchweh. Oskar und ich sitzen auf Campingsesseln in der Sonne und genieÃen den Augenblick. Am Abend packt er den Holzkohlengrill aus, den Chris uns Âvorsorglich mitgegeben hat, âdamit ihr zur Campingfamilie gehörtâ. Wir sitzen, in warme Decken gehüllt, und essen Würste mit Kartoffelsalat. Ich wollte nie ein banales Leben. Jetzt bin
ich dankbar für jeden Augenblick, der dem unserer Nachbarn gleicht.
4. April 1988
Es regnet. Das Wetter passt zu unserer Stimmung. Oskar wird vorläufig bei den bayerischen Freunden von Chris im Keller wohnen bleiben, jedenfalls bis er einen Anwalt in Deutschland gefunden hat. Die Freunde führen ein geselliges Haus, da fällt es nicht auf, wenn einmal ein neues Gesicht auftaucht. AuÃerdem lässt er sich einen Bart wachsen und sieht dem früheren Oskar kaum mehr ähnlich. Ich bin beruhigt. Jetzt weià ich wenigstens, wo er ist.
In Wien war alles anders. Von nun an gab es eine neue Zeitrechnung in Lillys Leben: Vor dem Haftbefehl und nach dem Haftbefehl. Sie war in den letzten vierzehn Tagen, die sie heimlich mit Oskar verbracht hatte, eine Person des öffentlichen Lebens geworden. Ihr Foto lächelte ihr von jedem Kiosk entgegen: âWo ist seine Frau?â, fragten die Kollegen, von denen sie die meisten gut kannte, im Auftrag ihrer Chefredakteure. âIst sie mit ihm und den Kindern geflüchtet?â
Sie folgte der Vorladung der Polizei, die sie im Briefkasten fand: âNein, leider, ich weià nicht, wo mein Mann ist.â Es war eine Routinebefragung. Niemand erwartete von ihr, dass sie die Wahrheit sagte.
Als Max sich bei ihr meldete, wunderte sie sich. Sie hatten sich aus den Augen verloren, als er als junger Orthopäde eine Praxis aufgemacht und kurze Zeit später geheiratet hatte. Sie trafen sich im Salettl , einem kleinen, kuriosen Kaffeehaus im 18. Bezirk: âDu wirst von der Polizei überwacht, ich wollte dir das unbedingt sagen.â Max fuhr sich nervös durchs Haar und sah sich um. AuÃer zwei alten Damen, die Kaffee tranken, war niemand im Lokal. âIch fahre einmal im Monat am Wochenende Notdienst bei der Rettung, um meine Finanzen aufzubessern. Gestern gab es einen Unfall in der Servitengasse, und als wir kamen, war die Polizei schon vor Ort. âWieso seid ihr so schnell da gewesen?â, habe ich sie gefragt. Man kennt sich, wenn man auf der StraÃe arbeitet. âWir sind immer da, wir bewachen die Frau vom Baldini.ââ
Lilly dankte Max und wunderte sich nicht. Oskar hatte sie schon gewarnt. Von nun an konnte jeder ihrer Schritte
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