Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
Vom Netzwerk:
imaginären, blauen Schutzmantel aus Licht an. Ella hat es mir in Wasserburg gezeigt. Seit heute haben wir einen neuen Namen. Das heißt, eigentlich nur Oskar. Er wird sich Moosbrugger nennen. Es ist der Name meiner Vorarlberger Großeltern, sie können sich nicht mehr kränken, sie sind beide tot. Und sie hätten nichts dagegen gehabt, uns zu helfen. Ella hat uns den Personalausweis meines Großvaters mitgebracht. Das Foto ist alt, der Ausweis schon lange ungültig. Aber wenn man nicht genau hinschaut, sehen die beiden einander sogar ähnlich. Der Schwarzwald ist weit weg von Österreich, und der Esmeralda-Skandal hat die deutsche Presse bisher nicht interessiert.
    Ich war noch nie auf einem Campingplatz und fange an, die anderen Menschen zu beobachten. Viele kennen einander, sie scheinen jedes Jahr zu Ostern hierherzukommen und leben
wie zu Hause nach Regeln und Gewohnheiten. Vor dem Frühstück wird geduscht und danach sofort abgewaschen, obwohl ein Gedränge in den öffentlichen Duschen und bei den riesigen ­Industrie-Waschbecken entsteht. Am Abend hat bei einigen die beliebte Jogginghose frei und die schönen Kleider werden für den Aperitif in der Kantine ausgeführt. Dann gibt es Würste, gegrillte Koteletts, Bier und Wein. Unser Wohnmobil gefällt mir. Es ist geräumig und praktisch. Die Nomadin in mir erwacht und träumt von einem freien Leben. Im Süden in der Wildnis, dort wo es keine Campingplätze, keine Neckermann-Hotels und vor allem keine Polizisten gibt. Werden Oskar und ich jemals wieder gemeinsam eine Grenze überqueren können? Ich muss daran glauben!
    3. April 1988
    Heute ist Ostersonntag. Lea und Niklas suchen hinter Büschen und unterm Wohnmobil nach ihrem Osternest. Das Leben ist ganz normal. Sie probieren ihre neuen Rollschuhe aus und haben von zu viel Schokoladeneiern Bauchweh. Oskar und ich sitzen auf Campingsesseln in der Sonne und genießen den Augenblick. Am Abend packt er den Holzkohlengrill aus, den Chris uns ­vorsorglich mitgegeben hat, „damit ihr zur Campingfamilie gehört“. Wir sitzen, in warme Decken gehüllt, und essen Würste mit Kartoffelsalat. Ich wollte nie ein banales Leben. Jetzt bin
ich dankbar für jeden Augenblick, der dem unserer Nachbarn gleicht.
    4. April 1988
    Es regnet. Das Wetter passt zu unserer Stimmung. Oskar wird vorläufig bei den bayerischen Freunden von Chris im Keller wohnen bleiben, jedenfalls bis er einen Anwalt in Deutschland gefunden hat. Die Freunde führen ein geselliges Haus, da fällt es nicht auf, wenn einmal ein neues Gesicht auftaucht. Außerdem lässt er sich einen Bart wachsen und sieht dem früheren Oskar kaum mehr ähnlich. Ich bin beruhigt. Jetzt weiß ich wenigstens, wo er ist.
    In Wien war alles anders. Von nun an gab es eine neue Zeitrechnung in Lillys Leben: Vor dem Haftbefehl und nach dem Haftbefehl. Sie war in den letzten vierzehn Tagen, die sie heimlich mit Oskar verbracht hatte, eine Person des öffentlichen Lebens geworden. Ihr Foto lächelte ihr von jedem Kiosk entgegen: „Wo ist seine Frau?“, fragten die Kollegen, von denen sie die meisten gut kannte, im Auftrag ihrer Chefredakteure. „Ist sie mit ihm und den Kindern geflüchtet?“
    Sie folgte der Vorladung der Polizei, die sie im Briefkasten fand: „Nein, leider, ich weiß nicht, wo mein Mann ist.“ Es war eine Routinebefragung. Niemand erwartete von ihr, dass sie die Wahrheit sagte.
    Als Max sich bei ihr meldete, wunderte sie sich. Sie hatten sich aus den Augen verloren, als er als junger Orthopäde eine Praxis aufgemacht und kurze Zeit später geheiratet hatte. Sie trafen sich im Salettl , einem kleinen, kuriosen Kaffeehaus im 18. Bezirk: „Du wirst von der Polizei überwacht, ich wollte dir das unbedingt sagen.“ Max fuhr sich nervös durchs Haar und sah sich um. Außer zwei alten Damen, die Kaffee tranken, war niemand im Lokal. „Ich fahre einmal im Monat am Wochenende Notdienst bei der Rettung, um meine Finanzen aufzubessern. Gestern gab es einen Unfall in der Servitengasse, und als wir kamen, war die Polizei schon vor Ort. ‚Wieso seid ihr so schnell da gewesen?‘, habe ich sie gefragt. Man kennt sich, wenn man auf der Straße arbeitet. ‚Wir sind immer da, wir bewachen die Frau vom Baldini.‘“
    Lilly dankte Max und wunderte sich nicht. Oskar hatte sie schon gewarnt. Von nun an konnte jeder ihrer Schritte

Weitere Kostenlose Bücher