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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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auf seinen Irrwegen durch Europa. Ich erkenne ihn kaum wieder. Sein dichtes, gelocktes Haar ist zur Tarnung kurz geschoren, eine Sonnenbrille verdeckt seine Augen. Ich laufe auf ihn zu und umarme ihn. Er ist es nicht mehr gewohnt, berührt zu werden, und zuckt für einen Augenblick zurück. Wie ein wildes Tier, das sich zu lange vor Gefangenschaft gefürchtet hat.
    17. März 1988
    Ich erwache in einem luxuriösen Zimmer und habe Geburtstag. Auf dem Tisch noch die Champagnerflasche der Nacht. Wir sind aufgeblieben bis zu meiner Geburtsstunde. An einem Donnerstag um ein Uhr fünfundzwanzig hat mich meine Mutter im Wiener Rudolfinerhaus zur Welt gebracht. Und jetzt bin ich ihr Sorgenkind. Ihre kleine, gut behütete Prinzessin ist mit einem Mann verheiratet, der sich vor der Polizei verstecken muss. Sie war geschockt, als ich ihr vorgestern erzählt habe, dass ich meinen Geburtstag unbedingt mit Oskar verbringen will. Aber dann hat sie mich in den Arm genommen, und ich habe nach langer Zeit wieder richtig geweint.
    Jetzt bin ich einfach nur glücklich. Ich bin neununddreißig Jahre alt und habe in der kurzen Zeit seit Oskars Flucht etwas Kostbares gelernt. Ich kann den Augenblick genießen. Uneingeschränkt. Ohne Gedanken an die Zukunft, ohne Forderung nach Beständigkeit.
    Sein gelber, alter Bus steht trotzig zwischen teuren Cadillacs in der Hotelgarage. Wir checken am Mittag aus. Noch einmal Luxus können wir uns nicht leisten, wir müssen sparen.
    18. März 1988
    Der Geruch von billiger, frischer Farbe kitzelt meine Nase. Mit diesem Geruch bin ich gestern eingeschlafen, und jetzt ist er wieder da und erinnert mich an unsere Herbergssuche. In einer Seitenstraße der Reeperbahn, billig, sauber und scheußlich, haben wir endlich ein kleines Hotel entdeckt. Grüne, frisch gestrichene Wände, ein spartanisches Bett, ein winziges Waschbecken, ein wackeliger Schrank. Ein Haus, in dem niemand nach Pass und Identität fragt. Hierher kommen die Menschen meistens nur stundenweise. Ich denke für einen Augenblick an unseren Ausflug ins Hotel Orient. Unsere Liebe hat sich verändert. Wir schlafen miteinander. Doch jetzt ist es tiefste Verbundenheit und Trost zur gleichen Zeit. Die Geilheit hat hier keinen Platz. In der Not verliert sie ihren Glanz. Wir wissen nie, ob es ein nächstes Mal geben wird. Das genügt für ein Erlebnis jenseits aller Schranken.
    Ich betrachte meinen schlafenden Mann. Wie müde er aussieht. Tiefe Furchen im Gesicht, die vor einem Monat noch nicht da waren. Wie wird es weitergehen?
    Routineanruf bei Markus Längle in Wien. Ich bin sofort hellwach! Seit gestern gibt es einen Haftbefehl! Seit meinem neununddreißigsten Geburtstag bin ich also offiziell die Frau eines polizeilich gesuchten Mannes.
    Während ich abgepackte Butterstückchen und rot gefärbte Marmelade aufs Brot schmiere, versuche ich einen kühlen Kopf zu bewahren. Ab sofort kann eine Routinekontrolle in einem Hotel Oskar seine Freiheit kosten. Wo werden wir schlafen, wie wird er von nun an leben? Ich mache mir Sorgen. Gleichzeitig bin ich froh und dankbar, dass ich bei ihm bin. Gerade jetzt!
    19. März 1988
    Unsere Reise erinnert mich an die Herbergssuche von Maria
und Josef. Oskar braucht einen Anwalt in Deutschland und ein Gericht, das ihn anhört. Er klopft an die Tür von Anwälten, die ihre Staatsanwälte und Richter fragen sollen, ob sie ihm ein fai­res Verfahren zusichern können. Seine Freiheit hängt davon ab. Wir brauchen täglich einen neuen Unterschlupf. Heute sind wir in Hannover. Freunde von Ralf haben uns aufgenommen. Am Nach­mittag sollen wir eine gute Strafverteidigerin kennenlernen.
    Die Frau sieht aus wie Simone Signoret und ist mir auf Anhieb sympathisch. Hannover könnte ein guter Platz für ein Gerichtsverfahren sein, glaubt sie. Die Geschichte eines Herrn Klaus, der für Versicherungen linke Geschichten gedreht haben soll, lässt hier jeden glauben, dass die Versicherung in Wien, die den Prozess angestrengt hat, Dreck am Stecken haben könnte.
    24. März 1988
    Die Polizisten im Blumengeschäft am Bahnhof starren uns an. Jetzt ist es vorbei, sie haben uns erkannt! Ich merke, wie meine Knie weich werden, ein Gefühl der Ohnmacht überschwemmt mich, ich muss mich an der Ladentheke festhalten. Als ich die Augen wieder aufmache, starren sie uns immer noch an, aber nichts geschieht. Wir raffen ein paar Blumen an uns,

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