Lily und der Major
Fenster, und Caleb gab einen Schuß ab. »Es zahlt sich nicht aus,
dort draußen herumzulungern!« rief er seinem Opfer zu. »Ist er tot?« fragte
Lily tonlos und grub ihre Finger in das Leder von Calebs Lieblingssessel.
»Nein, aber seine Mutter wird nie
Enkelkinder haben.« Wieder feuerte Caleb, und draußen fluchte jemand laut.
Nervös befeuchtete Lily ihre Lippen.
Sie schwitzte unter den Armen, zwischen den Brüsten und im Nacken, und als ihr
Mann von neuem zielte, schloß sie gequält die Augen.
»Verdammte Idioten«, murmelte er,
bevor ein weiterer Schuß die Stille zerriß. Dann erklang plötzlich lautes
Hufgetrappel.
»Sind die
Soldaten da?« fragte Lily hoffnungsvoll.
Caleb ließ lachend seine Waffe
sinken. »Nein, die Kerle haben es vorgezogen, sich davonzumachen.« Er ging zu
den beiden Männern hinaus, die er angeschossen hatte, fesselte sie und warf sie
dann, gemeinsam mit ihrem noch immer bewußtlosen Anführer, in den Stall, wo sie
warten sollten, bis Hilfe aus dem Fort kam.
Lily ließ heißes Wasser aus dem
Reservoir im Herd laufen, als Caleb ins Haus zurückkam. »Ohne mich hättest du
es nicht geschafft«, sagte sie stolz und drückte ihn auf einen Stuhl. Sie löste
gerade den Stoff von seiner Wunde, als Hank und Velvet ins Haus stürzten.
Hank trug
sein Jagdgewehr unter dem Arm.
»Wir haben
Schüsse gehört!« rief Velvet keuchend.
Lily reinigte die Wunde an Calebs
Schulter; sie hatte das Gefühl, daß es ein glatter Durchschuß war. »Wir haben
drei Banditen im Stall«, bemerkte sie gleichmütig. »Hank, vielleicht wäre es
gut, wenn du einen Arzt holen würdest.«
»Ich brauche keinen Arzt!«
protestierte Caleb. Aber er zuckte zusammen und schnappte nach Luft, als Lily
etwas von seinem besten Whiskey auf die Wunde goß.
»Aber die Männer draußen im Stall
vielleicht«, entgegnete Lily, während sie die Wunde reinigte.
Caleb stieß eine Serie von Flüchen
aus, die sogar Velvet erröten ließen.
»Ich komme zurück, sobald ich kann«,
versprach Hank, bevor er hinausging.
»Ich sehe nach, ob einer von den
Kerlen draußen einen Verband benötigt«, sagte Velvet, kaum daß ihr Mann
gegangen war.
»Sei
vorsichtig, sie sind gefährlich!« warnte Lily.
Velvet
nickte und ging hinaus.
»Du warst wunderbar«, sagte Caleb
und versetzte Lily einen liebevollen Klaps auf ihren Po.
»Wie gesagt – wenn ich nicht gewesen
wäre, wärst du jetzt tot.«
Caleb zog sie lachend auf seinen
Schoß. »Das ist möglich. Du hast gewonnen, Lily. Du hattest ganz recht, als du
behauptetest, du würdest auch allein in der Wildnis fertig werden.«
»Natürlich hatte ich recht«,
entgegnete Lily und begann ihre hübsche neue Weste aufzuknöpfen, die jetzt
schmutzig und blutbesprenkelt war.
Eine Stunde später saßen Lily und Caleb in der
Postkutsche nach Tylerville.
Die erste Nacht verbrachten sie in
Spokane, im gleichen Hotel, in dem sie schon einmal übernachtet hatten. Aber
diesmal herrschte eine noch nie dagewesene Harmonie zwischen ihnen. Die
gemeinsame Bewältigung einer drohenden Gefahr hatte sie einander näher gebracht
als alles andere.
Nach einer viertägigen Zugfahrt
erreichten sie den Staat Wyoming, und Caleb, dessen verletzter Arm noch in der
Schlinge lag, war blaß vor Erschöpfung. Sie nahmen ein Zimmer in Boltons
einzigem Hotel, und Lily versprach hoch und heilig, es nicht zu verlassen,
während Caleb ruhte. Aber kaum war er eingeschlafen, machte sie sich auf die
Suche nach Caroline.
Mrs. Daniel Pride, die Frau, die
Lily nach Tylerville geschrieben hatte, war mit dem Marshal der Stadt
verheiratet, und so suchte Lily sie zuerst in dem kleinen Haus neben dem
Boltoner Gefängnis.
Ihr Instinkt erwies sich als
richtig. Es war Mrs. Pride persönlich, die ihr die Tür öffnete und sie
empfing.
»Mein Name ist Lily Chalmers
Halliday«, stellte sich Lily vor. »Ich wollte mich bei Ihnen erkundigen, ob
Miss Caroline Chalmers inzwischen zurückgekehrt ist.«
Mrs. Pride schüttelte den Kopf.
»Nein, Madam. Wenn Sie etwas über Miss Caroline erfahren wollen, sollten Sie
die Maitland-Schwestern aufsuchen. Sie können Ihnen alles erzählen.«
Lily spürte, wie eine kalte Hand
über ihre Wirbelsäule strich, aber sie ließ sich ihre Enttäuschung nicht
anmerken. »Könnten Sie mir dann vielleicht den Weg zu ihnen zeigen?«
Die Frau des Marshals deutete auf
ein großes weißes Haus am Ende der Straße. Es hatte grüne Fensterläden und
einen schmiedeeisernen Zaun. Im Vorgarten blühten Rosen.
Lily
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