Lily und der Major
»Hier«,
sagte sie und drückte sie Charlie in die Hand. Dann gab sie ihm Munition aus
einer Schublade und holte für sich selbst eine 33er aus dem Schrank.
»Woher wollen Sie wissen, daß es
Banditen sind?« erkundigte sie sich, während sie zum Fenster ging und den
Horizont absuchte. Sie fragte sich, ob Caleb schon in der Nähe war und die
Reiter bemerkt hatte. »Weil sie so aussehen«, erwiderte Charlie schlicht.
Lily sah die Männer auf den Bach
zureiten und zählte fünf. »Es wäre besser, wenn Sie zum Fort reiten und Caleb
holen würden«, sagte sie, ohne Charlie anzusehen. »Wenn diese Männer Banditen
oder Rebellen sind, sollten sie verhaftet werden.«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich
mein Pferd verloren habe.«
»Dann nehmen Sie meins. Dancer steht
im Stall.«
Charlie zögerte. »Ich lasse Sie
nicht gern allein zurück. Miss. Sie sollten mich lieber begleiten.«
»Damit diese Kerle mein Haus
ausrauben? Kommt nicht in Frage, Charlie Schnelles Pferd. Los, gehen Sie
schon!«
Widerstrebend verließ Charlie das
Haus und huschte über den Hof zu der alten Hütte, die nun Dancers Stall war.
Lily wandte den Blick nicht von den
Reitern ab. Sie erschrak, als sie kurz darauf auf Charlie zeigten, der in einem
halsbrecherischen Galopp die Farm verließ, aber keiner von ihnen nahm seine
Verfolgung auf.
Nervös kaute Lily an ihrer
Unterlippe, während sie wartete. Vielleicht hatte Charlie sich geirrt, und die
Männer waren doch ganz harmlos?
Endlich überquerten sie den Bach.
Ihr Anführer, ein blonder Mann auf einem Pinto, nahm seinen breitkrempigen Hut
ab und zeigte auf die Farm.
»Hallo da oben!« rief er.
Nach einem tiefen Atemzug öffnete
Lily die Tür und trat, die 33er in der Hand, auf die Veranda.
Die Männer lachten und grinsten beim
Anblick des Gewehrs. Lily lud es durch, um ihnen zu zeigen, daß sie es nicht
mit einem Greenhorn zu tun hatten. »Was wollen Sie?«
Der Anführer kam herangeritten. »Wir
möchten nur unsere Pferde tränken und uns ein bißchen ausruhen, Madam, das ist
alles.«
»Dann tun Sie es«, sagte Lily, und
bald tranken die Pferde durstig am Bach, während vier der Männer ihre
staubbedeckten Gesichter wuschen und mit dem kalten Wasser ihren Nacken kühlten. »Sind sie ganz
allein hier?« wollte der Anführer wissen.
Lily lächelte gezwungen. »Im
Augenblick ja.«
Der Fremde trat näher, und Lily
richtete die Mündung des Gewehrs auf ihn. In einer Geste des Friedens hob er
beide Hände. Er war ein schlanker Mann in dunklen Hosen, Weste und einem Hemd,
das vermutlich einmal weiß gewesen war.
»Schießen Sie nicht, kleine Lady.
Wir haben keine bösen Absichten.«
Doch Lily ließ das Gewehr nicht
sinken. »Ich hörte, daß Sie Banditen sind. Ist das wahr?«
»Es wird viel geredet in dieser
Gegend«, warf einer der anderen vier Männer ein. Er war sehr korpulent und
trug einen buschigen Schnurrbart und einen schmutzigen Zylinder, der einmal
einem Gentleman gehört zu haben schien.
»Halt den Mund, Royce«, sagte der
Mann in der Weste. »Ihre Pferde sind getränkt«, wandte Lily ein. »Ich glaube,
es wäre besser, wenn Sie jetzt weiterreiten würden.«
Alle lachten, als hätte Lily einen Witz
gemacht, und im nächsten Augenblick packte jemand sie von hinten, preßte seine
Hand auf ihren Mund und entriß ihr das Gewehr.
Lily wehrte sich verzweifelt, aber
es war sinnlos. Ihr Angreifer umklammerte ihre Taille so fest, daß kein
Entkommen möglich war. Er roch nach Whiskey, Staub und Schweiß, und Lily wurde
übel.
Der Anführer grinste Lily an. »Sieht
ganz so aus, als wollten wir doch mehr als Wasser für unsere Pferde«, meinte
er, bevor er sich an den Mann wandte, der Lily festhielt. »Hast du den Indianer
gesehen, der wie vom Leibhaftigen gejagt davongeritten ist?«
»Er ist vermutlich auf dem Weg zum
Fort. Aber das macht nichts, denn fast die gesamte Garnison ist auf Patrouille.
Wir haben sie auf dem Weg gesehen.«
Lily wußte, daß der widerwärtige
Kerl, der sie festhielt, nur für sie sprach und nicht für seinen Anführer.
Trotzdem sank ihr Mut.
Charlie würde Caleb holen, falls er
es bis zum Fort schaffte, und Caleb würde mühelos von den fünf Männern
überwältigt werden.
»Wir sollten sie mitnehmen«,
bemerkte einer der Männer am Bach. »Sie ist ein hübsches Ding und könnte abends
recht unterhaltsam für uns sein.«
»Ich wette, daß sie auch kochen
kann«, rief der Mann, der den Zylinder trug.
»Laß sie
los«, befahl der Anführer.
Kaum hatte
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