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Lily und der Major

Lily und der Major

Titel: Lily und der Major Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Lael Miller
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Haar und breitete die Decke auf dem Boden aus. Dann erst sah er
Lily an. »Sehr schön«, antwortete er mit abwesendem Gesicht.
    Seine Reaktion freute Lily.
Offensichtlich war auch er beeindruckt von dieser grandiosen Landschaft. »Hier
wird mein Haus stehen«, verkündete sie, glücklich wie ein Kind, und breitete
weit die Arme aus. »Und dort werde ich den Gemüsegarten anlegen, und da wird
eine Wäscheleine hängen ...«
    Caleb schüttelte den Kopf. »Wollen
Sie damit etwa sagen, Sie hätten vor, hier zu leben?«
    Lilys gute Stimmung sank.
»Selbstverständlich. Es ist mein Land – oder zumindest die Hälfte davon. Eine
ganze Parzelle konnte ich nicht bekommen, weil ich nicht verheiratet bin.«
    Caleb verschränkte die Arme. Die
Luft zwischen ihnen schien zu summen. »Sie haben einen Claim auf dieses Land
gesetzt?«
    Lily nickte. »Ich habe die
Besitzurkunde und alles«, antwortete sie stolz. »Und ich spare all mein Geld.
In sechs Monaten habe ich genug, um beginnen zu können.«
    Caleb seufzte. Dann sagte er so
nachsichtig, als spräche er zu einem Kind: »Dann wird es Oktober sein, und die
ersten Schneefälle sind nicht mehr weit.«
    Daran hatte Lily trotz ihrer
sorgfältigen Planung nicht gedacht, aber das brauchte Caleb nicht zu wissen.
»Ich schaffe es schon.«
    Er setzte sich auf die Decke, und
Lily nahm neben ihm Platz. Als er das Huhn auspackte, griff Lily sich einen
Schenkel.
    »Wo sind Sie aufgewachsen, Major?«
fragte sie, um eine Unterhaltung zu beginnen.
    Obwohl Lily einen Anflug von Trauer
in seinen Augen sah, lächelte er. »In Fox Chapel, Pennsylvania. Und Sie?«
    Sie wandte den Blick ab. »In einer
kleinen Stadt bei Lincoln, Nebraska«, antwortete sie leise. »Aber geboren bin
ich in Chicago.«
    »Daß Sie in Spokane einen Bruder
haben, weiß ich schon. Haben Sie noch andere Geschwister?«
    Der Kummer, der Lily jedesmal
erfaßte, wenn sie an ihre Schwestern dachte, war für einen Moment fast
unerträglich. »Ja, zwei. Emma und Caroline. Aber wir wurden als Kinder
getrennt.«
    Caleb hörte auf zu essen und
berührte Lilys Hand. »Das tut mir leid«, sagte er ruhig. »Wie ist das
geschehen, wenn Sie mir die Frage gestatten?«
    Lily biß sich auf die Lippen und
sagte tonlos: »Mama hatte einen Mann kennengelernt – einen Soldaten. Er wollte
keine Kinder um sich haben, und so setzte sie uns in einen Waisenzug, der nach
Westen ging.«
    Caleb hörte schweigend zu. Falls er
Mitleid für Lily empfand, zeigte er es nicht, und dafür war sie ihm dankbar.
    »Caroline war die Älteste«, fuhr sie
traurig fort, »dann kam Emma, dann ich.« Sie brach ab und schluckte. »Jedesmal,
wenn der Zug anhielt, scheuchten sie uns auf den Bahnsteig, und die Leute
konnten sich ein Kind aussuchen und mit nach Hause nehmen. Niemand stellte
Fragen. Ich – ich war jung und naiv. Ich glaubte, wir würden alle zusammen zu
einer Familie kommen, aber so war es natürlich nicht. Caroline wurde irgendwo
in Nebraska adoptiert, und Emma ging am nächsten Tag fort. Ich – ich blieb ganz
allein zurück.«
    Calebs Hand schloß sich über Lilys,
sein Daumen beschrieb sanfte Kreise auf ihrer Haut. »Wie alt waren Sie?« fragte
er rauh.
    »Sechs«, antwortete sie mit dem
Anflug eines Lächelns, das jedoch sehr schnell verblaßte.
    Der Major drückte ihre Hand, sagte
nichts und schien darauf zu warten, daß sie ihre Erzählung fortsetzte.
    »Es war die Schuld des Soldaten«,
sagte sie bitter. »Mama hätte uns nie fortgeschickt, wenn er nicht gewesen
wäre.«
    Wieder schwieg Caleb, aber er
schaute Lily an, als hätte er sie gerne in die Arme genommen und getröstet.
    Lily holte tief Luft und fuhr leise
fort: »Ich wurde von einer presbyterianischen Pfarrersfamilie adoptiert – als
Spielgefährtin ihrer kleinen Tochter.« Traurig dachte Lily an das harte Leben
bei dieser lieblosen Familie. Ohne Rupert, ihren Adoptivbruder, hätte sie diese
Jahre vielleicht gar nicht überstanden, und wie hatte sie es ihm gedankt?
Indem sie fortgelaufen war, ohne ihm auch nur eine Nachricht oder einen
Abschiedsbrief zu hinterlassen.
    »Sind Sie schlecht behandelt worden
in dieser Familie?« fragte Caleb ernst.
    Lily dachte an die Schläge, die
kargen Mahlzeiten, die ständigen Vorhaltungen und die schäbigen Kleider, die
sie hatte tragen müssen. Nie hatte man sie vergessen lassen, daß sie eine Last
für die Familie war, eine unerwünschte Bürde, die zuviel aß und zuviel Platz in
Anspruch nahm. »Der Sohn war gut zu mir. Er brachte mir Lesen und

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