Lily und der Major
Schreiben bei
und half mir bei der Arbeit.«
Caleb hob ihre rauhe, abgearbeitete
Hand an die Lippen und küßte sie. »Was wünschen Sie sich am meisten auf dieser
Welt?«
Forschend musterte sie sein
markantes Gesicht und fragte sich, ob Caleb sie verstehen oder für sehr dumm
und naiv halten würde. »Ich möchte meine Schwestern finden. Und ein eigenes
Zuhause haben, wo mir niemand mehr sagen kann, was ich zu tun habe.«
Caleb nickte. Falls er irgendein
Urteil über Lilys Träume gefällt hatte, ließ er es sich nicht anmerken.
»Seit ich schreiben kann, habe ich
unzählige Briefe fortgeschickt, in der Hoffnung, meine Schwestern irgendwann
zu finden«, schloß Lily leise.
»Der Westen ist groß«, meinte Caleb.
»Bestimmt haben Ihre Schwestern längst geheiratet und einen anderen Namen angenommen
...«
Lily maß ihn mit einem ärgerlichen
Blick. »Egal, was ich dafür tun muß – ich werde meine Schwestern finden!«
»Wie wollen Sie nach ihnen suchen
und gleichzeitig eine Farm bewirtschaften?«
Lily faltete die Hände im Schoß und
schaute zum blauen Himmel auf. »Als ich noch klein war und wir in Chicago lebten,
schickte meine Mutter mich oft hinaus, um Brot oder Tee zu kaufen. Manchmal
verirrte ich mich auf dem Heimweg. Caroline brachte mir damals bei, an einem
Ort zu bleiben, bis sie mich gefunden hatte.«
»Und Sie glauben, sie findet Sie
auch diesmal?«
Lily nickte. In ihren Augen brannten
Tränen. »Sie hat es mir versprochen«, antwortete sie schlicht.
Caleb erwiderte nichts. Sie
beendeten ihre Mahlzeit aus gebackenem Hühnchen, Kartoffelsalat und
Apfelkuchen, dann nahm er Lilys Hand, und sie standen auf, um sich ein wenig
umzusehen.
Lily zeigte Caleb die Pflöcke, die
die Grenze ihres Lands bezeichneten, und obwohl sie quer durch das Tal
verliefen, war es für Lily so, als gehörte es ihr ganz. Die angrenzende
Parzelle war zwar auch vergeben, aber es war noch nichts darauf gebaut.
»Was wollen Sie hier anpflanzen?«
fragte Caleb.
Lily faltete die Arme und seufzte
zufrieden. »Äpfel, Birnen und Getreide.«
Caleb maß das fruchtbare Land mit
einem prüfenden Blick. Das fette grüne Gras stand schon recht hoch, obwohl noch
vereinzelt Schnee lag. »Und wie wollen Sie das umpflügen?« fragte er.
»Ich bin mit der Feldarbeit
vertraut«, versicherte Lily ihm. »Ruperts Eltern besaßen eine kleine Farm in
Nebraska. Der Reverend hatte eine kleine Landwirtschaft, und nur sonntags
predigte er. Wir mußten ihm bei der Feldarbeit helfen. Außer Isadora
natürlich.«
»Isadora?« Sie waren inzwischen zum
Bach zurückgekehrt, und Caleb half Lily, die Decke zusammenzufalten. »Wer ist
das?«
»Sie war Ruperts Schwester«, sagte
Lily, die das schöne Kind in bittersüßer Erinnerung behalten hatte.
»Sie sehen so traurig aus«, bemerkte
Caleb.
Lily nickte. »Isadora starb an
Diphterie, als wir zehn waren.«
Caleb ließ die Decke sinken und
legte seine Hände um Lilys Gesicht. Sanft streichelte er ihre Wangen, und
bestürzt gestand sie sich ein, daß sie hoffte, er möge sie jetzt küssen. »Sie
haben in neunzehn Jahren mehr Leid erlebt als die meisten Menschen in einem
ganzen Leben«, sagte er weich. »Was Sie brauchen, ist jemand, der sich um Sie
kümmert. Jemanden, der sich um Sie sorgt und Sie verwöhnt.«
Die letzten Worte flüsterte Caleb,
seinen Mund dicht an Lilys, und als sie seine Lippen auf ihren spürte, ging ein Erschauern durch ihren Körper. Sie
hätte schwören können, daß sie seinen Herzschlag spürte, aber vielleicht war es
auch ihr eigener.
Doch in diesem Moment konnte sie
keinen klaren Gedanken fassen.
Sie schwankte leicht, als Caleb sich
von ihr löste, und sofort stützte er sie mit starken Händen. »Wenn Mrs.
McAllister etwas davon wüßte«, murmelte Lily, »würde sie mich auf die Straße
setzen.«
Caleb lachte. »Und was würdest du
dann tun, meine kleine Lilie?«
»I-ich weiß es nicht«, antwortete
sie leise.
Er senkte den Kopf, und ein
eigentümlich erregendes Gefühl durchflutete Lily, als seine warmen Lippen ihren
Nacken streiften.
»Du hast andere Möglichkeiten, Lily,
als dir die Hände mit Arbeit schmutzig zu machen«, flüsterte er ihr zu.
Lily war noch sehr naiv, was die
Dinge betraf, die Männer und Frauen zusammen taten, aber sie spürte doch, daß
Calebs Worte sich auf etwas sehr Anstößiges bezogen. »Soll das ein
unehrenhafter Antrag sein?« fragte sie.
Caleb lächelte auf sie herab. »Das
ist Ansichtssache«, antwortete er. »Ich hätte Sie gern
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