LIMIT - reich, gewissenlos, tot
nochmal!«
Sie schüttelte wütend den Kopf. »Na und? Sollen diese Verbrecher damit durchkommen?«
»Mach ’ne Pause«, wiederholte Ikeda mit Nachdruck.
Cheyenne seufzte. Er hatte recht. Es hatte keinen Sinn, sich bei Laughlin unbeliebt zu machen. Plötzlich fühlte sie sich ausgelaugt. Sie ging über den Flur in die Damentoilette, trat an ein Waschbecken und spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht. Nachdem sie sich mit einem Papiertuch abgetrocknet hatte, begutachtete sie ihr Spiegelbild.
Cheyenne O’Neil hat zwar keine Verabredung und verbringt Silvester allein, ist aber trotzdem eine selbstbewusste, intelligente und taffe junge Frau, die mit ihren einunddreißig Jahren keinen Tag älter aussieht als neunundzwanzig. Abschluss mit Auszeichnung an der Syracuse University. Master of Business Administration in Stanford. Klassendritte an der FBI Academy. Fit wie ein Turnschuh, obwohl sie heute noch nicht trainiert hat. Tolle grüne Augen. Glänzende kastanienbraune Mähne. Zarte und reine Haut, bis auf den Pickel, der sich am Haaransatz anbahnt. Boshafter Humor. Wahnsinnig ehrgeizig. Wahnsinnig fixiert auf diesen Fall.
War sie obsessiv, zwanghaft?, fragte sie sich, während sie zurückging und sich wieder an den Schreibtisch setzte. Einen Augenblick spielte sie mit dem Gedanken, es für heute gut sein zu lassen. Doch dann meldete sich wieder ihr Bauchgefühl zu Wort: Irgendwo in diesen Unmengen von Geldtransaktionen gab es den Beweis, dass zwei der reichsten Männer der Welt in beidseitigem Einvernehmen dunkle Geschäfte betrieben: Albert Crockett, Corporate Raider, und Friedrich Klinefelter, Manager von Mobius LLC .
Seit das FBI im vergangenen Mai einen anonymen Hinweis erhalten hatte, versuchte Cheyenne herauszufinden, wie Crockett und Klinefelter mit ihren Machenschaften im großen Stil gegen bestehendes Finanzrecht verstießen. Crockett, so vermutete sie, nahm ein bestimmtes Unternehmen zur Übernahme ins Visier und setzte dann Klinefelter in Zürich davon in Kenntnis, woraufhin dieser über diverse Hedgefonds gerade so viele Anteile von besagter Firma erwarb, um eine Meldung bei der Börsenaufsichtsbehörde zu vermeiden, die für die Kontrolle des Wertpapierhandels zuständig war. Sobald nämlich eine Einzelperson oder ein Unternehmen mehr als fünf Prozent des Kapitals einer amerikanischen Aktiengesellschaft aufgekauft hatte, trat die Aufsichtsbehörde auf den Plan.
Hatte also Klinefelter über diverse Fonds insgesamt zwölf Prozent des ausgegebenen Aktienkapitals der Zielfirma an sich gebracht, begann Crockett über seine vielen Holdinggesellschaften aggressiv zu kaufen. Waren über fünf Prozent des Aktienkapitals der Zielfirma in seiner Hand, meldete er seine Position der Aufsichtsbehörde, kaufte aber weiter, bis er fünfzehn oder zwanzig Prozent der Anteile innehatte. An diesem Punkt der Übernahme pflegte er das Direktorium des Unternehmens der Misswirtschaft zu bezichtigen und zu verlangen, dass die Firma ihre Vermögenswerte abstieß, oder dass man ihm, Crockett, einen Sitz im Direktorium gab, wo er dann anfing, nach und nach die Manager der Firma zu feuern und durch eigene Leute zu ersetzen.
Albert Crockett, so viel wusste Cheyenne inzwischen, galt als ein schlauer Beurteiler unterbewerteter Unternehmen. Sobald sich herumsprach, dass er eine feindliche Übernahme plante, schnellten die Börsenkurse für die anvisierte Firma fast unweigerlich in die Höhe, und Klinefelters Beteiligungsgesellschaften fuhren bedeutende Gewinne ein. Cheyenne vermutete außerdem, dass Crockett seinerseits eine beträchtliche Summe bei Mobius investiert hatte, was bedeutete, dass er von Klinefelters Gewinnen auch selbst profitierte. Und Klinefelters Zwölf-Prozent-Anteil würde Crockett den Rücken stärken, sollte jemand seine Übernahmepläne durchkreuzen wollen.
Diese Geschäftsstrategie war nicht nur ausgesprochen lukrativ, sondern erfüllte zudem den Tatbestand des Insiderhandels, der Verdunkelung und Schieberei, und zwar in einem Ausmaß, das bei Weitem das übliche Eine-Hand-wäscht-die-andere-Prinzip überstieg.
Das Problem war nur, dass Cheyenne das Hinterzimmer, in dem diese Absprachen getroffen wurden, nicht finden konnte. Mit Klinefelter, der sich in diesem Zusammenhang vollkommen bedeckt hielt, hatte sie noch nie gesprochen, und das eine Mal, als es ihr gelungen war, Crockett ein paar Fragen zu stellen, war er von einer Schar Rechtsanwälte umgeben gewesen, die ihr unabhängige Gutachten zugunsten der
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