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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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genommen idiotensicher, aber das wussten die da draußen ja nicht. Für sie war er der Magier in seiner kristallenen Kanzel. Er war der Silver Dragon ! Ohne Grand Cherokee kein Ride.
    Er ließ die aneinandergekoppelten Waggons ein Stück zurückfahren zu dem einzigen Stück der Strecke, das ringsum durch Gitter gesichert war. Sie schimmerten verheißungsvoll in der Sonne, kaum mehr als silberne Surfbretter auf Schienen. So gut die Passagiere durch Bügel gesichert waren, die sie in den Sitzen hielten, so offen war der Zug konzipiert. Keine Reling, um die Illusion zu vermitteln, man könne sich im Überschlag des Loopings irgendwo festhalten. Nichts, was geeignet war, den Blick in die Tiefe abzulenken. Der Drache kannte keine Gnade.
    Er öffnete die Glastür. Die meisten hielten ihre Handys oder E-Tickets vor den Scanner, andere hatten im Foyer ein Ticket gekauft. Nachdem zwei Dutzend Adrenalinsüchtiger die Absperrung durchquert hatten, schloss er sie wieder. Eine verchromte Schranke schob sich zurück und gab den Weg frei zum Drachen. Grand Cherokee half den Passagieren beim Besteigen der Sitze, prüfte die Halterungen und entsandte festigende Blicke in jedes Augenpaar. Eine Touristin, skandinavischer Typ, lächelte ihn scheu an.
    »Ängstlich?«, fragte er auf Englisch.
    »Aufgeregt«, flüsterte sie.
    Oh, wie sie Angst hatte! Wie wunderbar! Grand Cherokee beugte sich zu ihr herab.
    »Wenn die Fahrt vorüber ist, zeige ich dir den Kontrollraum«, sagte er. »Willst du den Kontrollraum sehen?«
    »Oh, das wäre – das wäre super.«
    »Aber nur, wenn du tapfer bist.« Er grinste, schenkte ihr ein Erobererlächeln. Die blonde Frau ließ angestauten Atem entweichen und lächelte ihn dankbar an.
    »Bin ich. Versprochen.«
    Grand Cherokee Wang! Der Herr des Drachen.
    Mit schnellen Schritten war er in der Kanzel. Seine Finger flitzten über den Computertisch. Schienensicherung entriegeln, Zug starten. So einfach war das. So schnell konnte man Menschen auf eine unvergessliche Tour zwischen Himmel und Hölle schicken. Der Drache verließ seinen Gitterkäfig und schob sich über die Plattformkante hinaus, beschleunigte, geriet aus dem Blickfeld. Grand Cherokee drehte sich um. Durch den gläsernen Korridor konnte er die weit auseinanderstehenden, mächtigen Seitenpfeiler sehen, segmentiert in Etagen von Penthouse-Größe, über sich das in schwindelerregender Höhe verlaufende Glasboden-Observatorium. Besucher bewegten sich darin wie auf Glatteis, schauten hinab auf den 50 Meter tiefer liegenden Korridor mit dem Achterbahnhof, wo sich bereits die nächsten Wagemutigen stauten. Und alle starrten den linken Turm an, hinter dem sich der Zug nun langsam wieder hervorschob, um die Schräge zu erklimmen, hinauf aufs Dach, erneut den Blicken entzogen.
    Grand Cherokee warf einen Blick auf die Monitorleiste.
    Die Waggons näherten sich dem Ende des Dachs. Dahinter knickte das Gleis ab. Er wartete. Es war der Moment, den er am meisten genoss, wann immer ihm sich die Gelegenheit bot, mitzufahren. Reihe eins war die beste. Der Eindruck, die Schienen endeten im Nichts. Über die Kante zu stürzen ohne jeden Halt. Das Denken des Undenkbaren, kurz bevor das Gefährt kippte und der Blick vorausraste in die abwärts führende Steilkurve, bevor das aufkochende Adrenalin jeden klaren Gedanken aus den Hirnwindungen schwemmte und die Lungen sich zum Schrei weiteten. Kopfüber stürzte man dem Bahnhof entgegen, wurde hochgeschleudert, fand sich schwerelos über dem Dach und gleich darauf wieder in rasender Abwärtsfahrt begriffen.
    Die Waggons gerieten ins Blickfeld.
    Fasziniert sah Grand Cherokee nach oben. Die Zeit schien sich ins Endlose zu dehnen.
    Dann stürzte sich der Silberdrache in den Überschlag.
    Er hörte die Schreie durch das Glas hindurch.
    Welch ein Augenblick! Welch eine Demonstration der Macht über Körper und Geist, und wiederum, welch ein Triumph, den Drachen zu reiten und zu kontrollieren! Ein Gefühl der Unverwundbarkeit überkam Grand Cherokee. Mindestens einmal am Tag versuchte er, einen Platz in dem Gefährt zu ergattern, denn er war angstfrei, schwindelfrei, so wie er frei von Selbstzweifeln war, frei von Scham und Skrupeln, frei von der nörgeligen Stimme der Vernunft.
    Frei von Vorsicht.
    Während über ihm zwei Dutzend Drachenreiter ihr neurochemisches Inferno erlebten, zog er sein Handy hervor und wählte eine Nummer.
    »Ich hätte einiges anzubieten«, sagte er und versuchte, die Worte ins Gelangweilte zu

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