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Limit

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Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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alle ihre Einträge im Netz waren wieder mal gelöscht. Am selben Abend stand die Sicherheitspolizei vor der Türe, und sie fand sich ein weiteres Mal in der Zelle wieder. Erneut konnte man ihr nichts vorwerfen. Ihr Fehler war, sich im Netz der Korruption verheddert zu haben. Die Staatsanwaltschaft verlangte zu wissen, was der Blödsinn solle, man habe doch im Jahr zuvor schon gegen sie ermittelt und nichts gefunden, geriet unter Druck und erhob widerwillig Anklage.«
    »Ich erinnere mich. Sie musste ins Gefängnis.«
    »Es hätte schlimmer kommen können. Hongbing hat ein paar Kontakte, ich habe noch bessere. Also besorgte ich Yoyo einen Anwalt, der es schaffte, ihre Haftstrafe auf sechs Monate runterzuhandeln.«
    »Aber für was hat man sie überhaupt verurteilt?«
    »Weitergabe von Staatsgeheimnissen, wie immer.« Tu zuckte die Achseln und lächelte säuerlich. »Die Chemiefabrik war ein Joint Venture mit einem britischen Unternehmen eingegangen, und Yoyo hatte einen der Engländer vor Ort aufgesucht, um Informationen über die Nacht-und-Nebel-Aktion zu sammeln. Das reichte. Es reichte aber auch, dass die Medien den Fall als Aufmacher brachten. Chinas Journalisten lassen sich nicht mehr so schnell einschüchtern wie noch 2005 oder 2010. Wenn einer aus ihren Reihen an den Pranger gestellt wird, heulen die Hunde, und in Fällen von Korruption ist die Partei gespalten. Die Sache schwappte ins Ausland über, Reporter ohne Grenzen setzte sich für Yoyo ein, der britische Premier, in Peking auf Visite, ließ am Rande bilateraler Gespräche ein paar Bemerkungen fallen. Nach drei Monaten war Yoyo wieder draußen.«
    »Und der Fabrikdirektor schwamm im See, richtig? Es hieß, er habe sich umgebracht.«
    »Wohl eher ein Fall von Sterbehilfe«, feixte Tu. »Die Behörden hatten nicht mit so viel öffentlichem Druck gerechnet. Notgedrungen mussten sie eine Untersuchung anberaumen. Schätze, da wären viele Namen gefallen, aber nachdem der Schurke im eigenen Abwasser trieb, konnte man ihn ja schlecht fragen, also wurden sicherheitshalber der Stellvertretende Direktor und der Werksleiter entlassen und die Ermittlungen eingestellt. 2022 nahm Yoyo ihr Studium wieder auf. Hast du ihren Namen seitdem noch mal gelesen?«
    Jericho überlegte. »Nicht, dass ich wüsste.«
    »Eben. Sie wurde ganz brav, solange ihr eigener Name unter den Texten stand. Berichtete über Reisen und Kulturelles, propagierte die neue chinesische Spaßkultur. Nebenher legte sie sich eine Reihe von Pseudonymen zu und schlug andere Töne an. Kommunizierte über Auslandsserver. Trat das System in den Hintern, wo sie nur konnte. Sie wurde wie –«, Tu lachte, breitete die Arme aus und machte flatternde Bewegungen, »– Batgirl! Nach außen hin Szenemaus, im Geheimen auf Rachefeldzug gegen Folter, Korruption, Todesstrafe, legalisiertes Verbrechen, Umweltsünden, die ganze Palette. Sie forderte Demokratie, eine chinesische Demokratie, wohlgemerkt! Yoyo will keinen westlichen Weg, sie wünscht, dass der hohle, verfaulte Zahn, der sich Partei nennt, dem Land gezogen wird, damit echte Werte eine Chance haben. Damit wir nicht nur als Wirtschaftsgigant gesehen werden, sondern als Vertreter einer neuen Menschlichkeit.«
    »Der Herr bewahre uns vor Missionaren«, murmelte Jericho.
    »Sie ist kein Missionar«, sagte Tu. »Sie ist auf der Suche nach Identität.«
    »Die ihr Vater ihr nicht geben kann.«
    »Möglicherweise ist Hongbing ihre Hauptantriebskraft. Vielleicht haben wir es einfach mit einem Kind zu tun, das auf den Arm will. Doch naiv ist sie nicht. Nicht mehr! Als sie die Wächter ins Leben rief, wusste sie sehr genau, was sie wollte. Ein Phantom-Kommando. Sie wollte eine Macht im Netz sein, die der Partei die Angst in die Knochen treibt, und dafür musste sie deren Machenschaften aufdecken und ihr Ansehen beschädigen, um das Ansehen Chinas zu retten. Gut ein Jahr hat sie gebraucht, um die Wächter technologisch hochzurüsten.«
    Jericho sog an seiner Backe. Er wusste, dass die Unterredung beendet war. Mehr würde Tu nicht preisgeben.
    »Ich brauche alle Aufzeichnungen von Yoyo, die du mir zugänglich machen kannst«, sagte er.
    »Da gibt es einiges.« Tu griff neben sich, öffnete eine abgewetzte Ledertasche und entnahm ihr eine Holo-Brille und einen Holo-Stick. Der Stick war kleiner als die gängigen Modelle, die Brille von elegantem Design. »Das sind Prototypen. Sämtliche Programme, in denen wir Yoyo als virtuelle Führerin eingesetzt haben, sind darauf

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