Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
abzumarschieren. Er zog sein Handy hervor, gab die Hausnummer ein und ließ das GPS seine Position ermitteln. Auf dem Display erschien ein Ausschnitt der Stadt aus der Satellitenperspektive. Jericho projizierte die Karte auf die nächste Hauswand. Der Beamer war stark genug, um ein brillantes Bild von zwei mal zwei Metern zu erzeugen. Quer über die Hauswand verlief die Straße, auf der er sich befand, nebst Seiten- und Parallelstraßen. Er zoomte. Ein blinkendes Signal wies seinen Standort metergenau aus, ein weiteres markierte Yoyos Adresse.
    »Bitte zweiunddreißig Meter geradeaus gehen«, sagte das Handy freundlich. »Dann rechts –«
    Er deaktivierte die Stimme und machte sich auf den Weg. Ihm reichte, gesehen zu haben, dass Yoyos Wohnblock gleich um die Ecke lag und schnell zu erreichen war.
    Zwei Minuten später drückte er auf die Klingel.
    Es war ein Überraschungsbesuch und damit eine Art Investment. Die eher geringe Chance, jemanden anzutreffen, wurde wettgemacht durch den Überrumpelungseffekt. Der Besuchte, so er denn da war, fand keine Gelegenheit, sich vorzubereiten, Dinge verschwinden zu lassen oder Lügen einzustudieren. Jerichos Recherchen zufolge waren Yoyos Wohngenossen nicht vorbestraft und auch sonst nie auffällig geworden. Der eine, Zhang Li, studierte Betriebswirtschaft und Englisch, der andere war für Maschinenbau und Elektrotechnik eingeschrieben. Seitens der Behörden wurde er als Wang Jintao geführt, nannte sich jedoch Grand Cherokee. Nichts Ungewöhnliches. In den Neunzigern hatten junge Chinesen begonnen, ihren Familiennamen westliche Namen voranzustellen, ein Brauch, der nicht immer ganz stilsicher gehandhabt wurde. In Unkenntnis ihrer eigentlichen Bedeutung konnte es schon mal geschehen, dass sich Männer nach Damenbinden und Hundefutter benannten, während es weiblicherseits keine Seltenheit war, einer Pershing Song oder White House Liang zu begegnen, und Wang hatte sich eben einen amerikanischen Geländewagen zum Vornamen erwählt. Glaubte man Tu, waren weder er noch Li dem häuslichen Typ zuzurechnen, was befürchten ließ, dass er den Weg hierher umsonst gemacht hatte. Doch als er ein zweites Mal schellte, erlebte er eine Überraschung. Ohne dass jemand die Gegensprechanlage bemühte, wurde ihm aufgedrückt. Er betrat einen kahlen, nach Kohl riechenden Flur, nahm den Aufzug in den siebten Stock und fand sich in einem weiß getünchten Gang wieder, dessen Neonbeleuchtung nervös flackerte. Ein Stück weiter wurde eine Tür geöffnet. Ein junger Mann trat nach draußen und musterte Jericho gleichgültig.
    Kein Zweifel!
    Metallische Applikationen zierten Stirn und Wangenknochen, gerade ganz hoch in Mode. Mit ihrem Auftreten hatte die Ära der Piercings und Tattoos geendet. Wer sich heute noch einen Ring durch die Augenbrauen oder Silber in der Zunge erlaubte, galt als peinlich. Auch die Haartracht, glatt und lang, entsprach dem Trend. Indianischer Stil, wie ihn die Mehrzahl junger Männer rund um den Globus zurzeit trug, abgesehen von den Indianern, die jede Verantwortung von sich wiesen. Ein Sprüh-Shirt arbeitete Wangs Muskulatur heraus, die Hose aus schwarzem Knautschlack erweckte den Anschein, Tag und Nacht im Einsatz zu sein. Unterm Strich sah der Bursche nicht übel aus, allerdings auch nicht richtig gut. Dem martialischen Erscheinungsbild fehlten zehn Zentimeter Körpergröße, und die Züge mochten durch Kantigkeit gefallen, ließen jedoch proportionale Eleganz vermissen.
    »Sie sind?«, fragte er mit unterdrücktem Gähnen.
    Jericho hielt ihm sein Handy unter die Nase und projizierte ein 3-D-Abbild seines Kopfes samt polizeilicher Registrierungsnummer auf das hochgeklappte Display.
    »Owen Jericho, Webdetective.«
    Wang kniff die Augen zusammen.
    »Tatsächlich«, sagte er im Versuch, ironisch zu klingen.
    »Hätten Sie einen Moment Zeit?«
    »Was liegt an?«
    »Das ist die Wohnung von Chen Yuyun, richtig? Genannt Yoyo.«
    »Falsch.« Der Mann schien das Wort durchzukauen, bevor er es ausspuckte. »Das ist die Wohnung von Li und mir, in der die Kleine ihre Bücher und Klamotten deponiert hat.«
    »Ich dachte, sie wohnt hier?«
    »Eines wollen wir mal klarstellen, ja? Es ist nicht ihre Wohnung. Ich hab ihr das Zimmer besorgt.«
    »Dann müssen Sie Grand Cherokee sein.«
    »Yeah!« Die Erwähnung des Vornamens bewirkte, dass sein Besitzer schlagartig ins freundliche Fach wechselte. »Sie haben von mir gehört?«
    »Nur Gutes«, log Jericho. »Würden Sie mir verraten, wo

Weitere Kostenlose Bücher