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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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linken Kotflügel seines Rovers zu Klump fuhr und mit dem Improvisationstalent eines Robinson Crusoe wieder zusammenflickte. Nichts davon war geeignet, das öffentliche Interesse aufzufrischen. Eine Ära endete. Cernan, die historische Chance vor Augen, sich mit einem donnernden Nachruf in Lexika und Lehrbüchern zu verewigen, fand stattdessen Worte von bemerkenswerter Ratlosigkeit.
    »Den größten Teil der Heimreise«, sagte er, »verbrachten wir mit Diskussionen, welche Farbe der Mond denn nun habe.«
    Allerhand. Das also sollte das Resümee aus sechs kostspieligen Landungen auf einem Hunderttausende Kilometer entfernten Gesteinsbrocken sein? Dass man nicht einmal wusste, welche Farbe er hatte?
    »Ich finde ihn gelblich«, sagte Rebecca Hsu, nachdem sie eine ganze Weile schweigend aus dem kleinen Bullauge gestarrt hatte. Inzwischen zog es kaum noch jemanden zur gegenüberliegenden Fensterreihe. Von dort hatten sie während der vergangenen beiden Tage, seit dem Abdocken, ihren Heimatplaneten beständig kleiner werden sehen, ein gespenstisches Hinwegschrumpfen von Vertrautheit, um ihre Gunst auf halber Strecke paritätisch zwischen Erde und Mond aufzuteilen und endlich völlig der Faszination des Trabanten zu erliegen. Aus 10.000 Kilometern Entfernung war er immer noch als Ganzes zu sehen, scharf abgegrenzt gegen die Schwärze des umgebenden Raumes. Doch hatte sich der Gegenstand romantischer Betrachtungen zu einer Kugel von bedrohlicher Präsenz gebläht, ein Schlachtfeld, gezeichnet von Jahrmilliarden andauernden Beschusses. In völliger Lautlosigkeit, ungebrochen vom Soundtrack der Zivilisation, rasten sie der fremden Welt entgegen. Lediglich das tinnitusartige Rauschen der Lebenserhaltungssysteme deutete darauf hin, dass überhaupt so etwas wie technische Aktivität an Bord stattfand. Darüber hinaus ließ die Stille Herzschläge wie Buschtrommeln erdröhnen und das Blut in den Adern brodeln, erweckte den Körper zu geschwätziger Mitteilsamkeit über den Zustand seiner chemischen Fabriken und leitete die Gedanken an den Rand des Vorstellbaren.
    Olympiada Rogaschowa paddelte heran, eine scheue Schwimmerin in der Schwerelosigkeit. Inzwischen hatten sie sich dem Trabanten auf tausend Kilometer genähert, und man sah ihn nur noch zu drei Vierteln.
    »Ich kann nichts Gelbes erkennen«, murmelte sie. »Für mich ist er mausgrau.«
    »Metallisch grau«, korrigierte sie Rogaschow kalt.
    »Na, ich weiß nicht.« Evelyn Chambers schaute vom Nebenfenster herüber. »Metallisch?«
    »Doch, schon. Sehen Sie. Oben rechts, die große, runde Stelle. Dunkel wie geschmolzenes Eisen.«
    »Sie sind zu lange in der Stahlbranche, Oleg. Sie würden sogar in einem Schokoladenpudding etwas Metallisches erkennen.«
    »Klar, den Löffel. Uuiiiiii!« Miranda Winter schlug einen Purzelbaum und jauchzte. Inzwischen war den meisten die Akrobatik im freien Fall langweilig geworden. Nur Winter konnte nicht genug davon bekommen und ging den anderen damit zusehends auf die Nerven. Kein Gespräch mit ihr war möglich, ohne dass sie quiekend und gackernd durch die Luft kullerte, Rippenstöße und Kinnhaken austeilend. Chambers bekam eine Ferse ins Kreuz und sagte:
    »Du bist kein Karussell, Miranda. Hör endlich auf damit.«
    »Ich fühle mich aber wie eines!«
    »Dann lass dich generalüberholen oder aus dem Verkehr ziehen. Es ist zu eng hier drin.«
    »Hey, Miranda.« O'Keefe schaute von einem Buch auf. »Warum stellst du dir nicht vor, du wärst ein Blauwal?«
    »Was? Wieso denn das?«
    »Blauwale tun so was nicht. Sie hängen mehr oder weniger reglos in der Gegend rum, fressen Plankton und sind zufrieden.«
    »Und blasen Wasser«, ließ sich Heidrun vernehmen. »Willst du Miranda Wasser blasen sehen?«
    »Warum nicht?«
    »Ihr seid blöd«, stellte Winter fest. »Ich finde übrigens, er hat was Bläuliches. Der Mond, meine ich. Beinahe gespenstisch.«
    »Huuu«, gruselte sich O'Keefe.
    »Welche Farbe hat er denn nun?«, wollte Olympiada wissen.
    »Jede und keine.« Julian Orley kam durch die Verbindungsluke geschwebt, die den Wohntrakt der Charon vom Landemodul trennte. »Man weiß es nicht.«
    »Wieso?« Rogaschow runzelte die Stirn. »Hatte man nicht genügend Zeit, um es herauszufinden?«
    »Sicher. Das Problem ist, dass kein Mensch ihn bisher anders als durch getönte oder mit Filterfolie beschichtete Fenster und Visiere betrachtet hat. Dabei weist der Mond nicht mal eine besonders hohe Albedo auf –«
    »Eine was?«, fragte Winter,

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