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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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seinem Schwerefeld Bestand hatten, die auf der Erde schon unter ihrem eigenen Gewicht zusammengebrochen wären.
    Und Gaia sollte groß werden. Keine Frühstückspension, sondern ein Monument zum Ruhme der Menschheit – und natürlich, um 200 ihrer solventesten Vertreter darin unterzubringen.
    Ergeben hatte Lynn Designer und Statiker zusammengetrommelt und mit den Planungen begonnen, unter strengster Geheimhaltung. Schnell erwies sich, dass eine stehende Figur zu hoch werden würde. Alternativ skizzierte sie Gaia darum sitzend, was insbesondere Julians Zuspruch fand, der sich sein Hotel so und nicht anders erträumt hatte. Da außer Diskussion stand, den menschlichen Körper detailgetreu nachzubilden, verschmolz das Planungsteam als Erstes die Beine der Frau zu einem massiven Komplex, als trage sie einen eng anliegenden Rock, und ließ sie in einer Spitze auslaufen. Po und Oberschenkel formten den waagerecht aufliegenden Teil des Gebäudes, das jenseits der Knie in die Schlucht abknickte, ohne Kontakt zum rückwärtigen Fels. Schon diese statische Tollkühnheit reichte, um Lynn Halt an der Toilettenschüssel suchen zu lassen, wo sie das meiste des wenigen, das sie herunterwürgte, halb verdaut wieder ausspie. Im Gegenzug erhöhte sich ihr Tablettenkonsum, doch Julian war begeistert, und die Fachleute sagten, na ja, machbar sei es.
    Unnötig zu betonen, dass machbar Julians Lieblingswort war.
    Die Herausarbeitung weiblicher Attribute verlagerte sich im Folgenden auf den Torso, im Grunde ein Hochhaus mit Kurven statt gerade gezogener Wände. Es erhielt eine Taille und die Andeutung eines Busens, um den viel gestritten wurde. Den männlichen Zeichnern gerieten die Brüste durchweg zu groß. Lynn erklärte, sich nicht mit der Statik pornostarträchtiger Titten herumschlagen zu wollen, nur um ein paar Leute mehr unterzubringen, und zensierte sie weg. Plötzlich fand sie die ganze Idee, eine Frau auf den Mond zu setzen, schrecklich borniert. Julian führte ins Feld, die Eliminierung der Oberweite lasse auf einen Mann schließen, und ob es nicht an der Zeit sei, die Menschheit von einer Frau repräsentieren zu lassen? Ein Architekt deutete an, Lynn für prüde zu halten. Lynn regte sich auf. Weder sei sie lustfeindlich noch selbst zu knapp ausgestattet, aber was bitte schön solle Gaia verkörpern? Ein Monument der Möpse? Den Expansionswillen der weiblichen Oberweite? Also gewölbt, meinte Julian. Gern an der Grenze zum Knabenhaften, konterte Lynn. Aber nicht androgyn, protestierte der Leiter des Fassadenteams. Auf gar keinen Fall ausladend, beharrte Lynn. Dann eben dezent gewölbt, schlug Julian vor, was noch am besten klang, bloß, was war dezent?
    Eine Praktikantin eilte herbei, setzte sich wortlos an den Computer und zeichnete eine Kurve. Jeder betrachtete sie. Jedem gefiel sie. Knabenhaft, aber nicht androgyn. Die Kurve einigte alle, und der Punkt war vom Tisch.
    Feminin, ohne schmal zu sein, gerieten die Schultern, mit leicht abgewinkelten, sich zum Boden hin verjüngenden Türmen, mündend in der Stilisierung aufgestützter Handflächen. Dem Torso entwuchs ein schlanker Hals, darauf ein Kopf in perfekter Proportionierung zum Körper, haar- und gesichtslos, nichts als die edle Kontur des reinen Schädels und leicht in den Nacken gelegt, sodass Gaia die Erde im Blick hatte. Das Ganze, wie es da im Computer Gestalt annahm, bescherte Lynn Koliken und Schweißausbrüche, doch duldsam nahm sie die nächste Herausforderung an: möglichst viel Glas bei optimalem Schutz gegen Strahlung. Gaias ›Gesicht‹, verkündete sie, solle transparent sein, da sie im Kopf Restaurants und Bars unterzubringen gedenke, der Hinterkopf hingegen, das Reich der Köche, gepanzert. Glas zog sich über den Kehlkopf und die Wölbung der Brust, in der die Suiten beheimatet waren, als Prunkstück diente ein riesiges, gotisch geschnittenes Fenster für die Bauchhöhle, vier Ebenen mit Rezeption, Casino, Tennisplätzen und Sauna einfassend, sowie eine Verglasung der Schienbeine und Sichtflächen an den Armaußenseiten. Julian bemängelte, das Riesenfenster erinnere ihn an ungeliebte Kirchgänge zu Zeiten, da er sich nicht habe wehren können. Lynn ersetzte die Spitze durch einen romanischen Bogen, und das Fenster blieb.
    Alles übrige, Rückfront, Schultern, Rippenbereich, Hals, Oberschenkel und Innenarme, würde mit panzerplattendickem Gussbeton aus Regolith verkleidet sein, verstärkt durch Glasplatten mit Wasser dazwischen, um Partikel zu

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