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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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unliebsamen amerikanischen Präsidenten zu stürzen, auch aus moralischen Erwägungen nicht. Er würde einfach die diplomatischen Verbindungen zu Washington abbrechen und seinen Botschafter einberufen.«
    »Er sieht sich tatsächlich als – Staat?«
    »Wundert Sie das? Julians Aufstieg war programmiert, als sich die Regierungen noch verdattert die Augen rieben und mehr Mitspracherecht im Bankenwesen einforderten. Dass um sie herum alles privatisiert wurde, hatten sie selber forciert, jetzt sahen sie, dass ihnen der Sozialstaat durch die Lappen zu gehen drohte. Also wollte man plötzlich mehr Staat, musste einsehen, dass die Verstaatlichung des Kapitals jene Kräfte lähmt, die es mehren, und kehrte zur Tagesordnung zurück. Bequemerweise hat man die Depression von 2008 bis 2012 als Ausuferung eines ansonsten lupenreinen Systems hingestellt. Die Chance, den Kapitalismus neu zu erfinden, wurde verschenkt, und damit die, den Staat nachhaltig zu stärken.«
    Palsteins Blick war abgeschweift. Sein Tonfall hatte etwas Dozierendes bekommen, analytisch, jedoch ohne Empathie.
    »Damals haben die Privaten den Regierenden endgültig das Zepter aus der Hand genommen. Aus Menschen wurden menschliche Ressourcen. Während sich die Parteien der demokratisch regierten Länder gegenseitig auf die Füße traten und totalitäre Machthaber wie eh und je als Unternehmer in eigener Sache auftraten, drangen die Konzerne in jeden Bereich der sozialen Ordnung vor und errichteten das Warenhaus der modernen Gesellschaft. Sie übernahmen die Versorgung mit Wasser, Medizin und Nahrungsmitteln, privatisierten die Bildung, bauten eigene Universitäten, Krankenhäuser, Seniorenresidenzen, Friedhöfe, alles schöner, größer und besser, verglichen mit staatlichen Einrichtungen. Sie engagierten sich gegen Krieg, initiierten Hilfsprogramme für Unterprivilegierte, nahmen den Kampf gegen Hunger, Durst, Folter, gegen globale Erwärmung, gegen Überfischung und Raubbau, gegen die Spaltung in Arm und Reich auf. In gleicher Weise begünstigten sie diese Spaltung, indem sie entschieden, wer Zugang hat und wer nicht. Die Forschung statteten sie mit großzügigen Budgets aus und unterwarfen sie ihren Zielen. Aus dem Menschheitserbe Erde wurde ein Wirtschaftserbe. Sie erschlossen jeden Winkel, jede Ressource. Zugleich bezifferten sie alles nach seinem Wert, von der Frischwasserquelle bis hin zum menschlichen Genom, verwandelten die frei zugängliche Welt in einen Katalog, versehen mit Eigentumshinweisen, Nutzungsgebühren und Zugangsberechtigungen, versahen die Schöpfung, wenn Sie mir den pathetischen Ausrutscher gestatten, mit einem Drehkreuz. Sie teilten die Menschheit in Befugte und Unbefugte. Selbst die kostenlose Bereitstellung von Bildung und Trinkwasser ist letztlich ein Angebot, das Menschen, sobald sie es annehmen, einer kommerziellen Ideologie unterwirft, der Vision einer Marke.«
    »War das nicht immer schon so?«, sagte Keowa. »Dass viele belohnt werden, wenn sie den Ideen weniger folgen, und, wenn sie es nicht tun, mit Ausschluss und Strafe rechnen müssen?«
    »Sie reden vom Pfauenrad der Diktaturen. Tutenchamun, Julius Cäsar, Napoleon, Hitler, Saddam Hussein.«
    »Es gibt auch sanftere Formen der Diktatur.«
    »Das alte Rom war eine sanfte Form«, lächelte Palstein. »Römer empfanden sich als die freiesten Menschen überhaupt. Ganz was anderes, Loreena. Ich rede von der Machtübernahme durch solche Herrscher, deren Staaten auf keiner Landkarte verzeichnet sind. Dass die Ölkonzerne den Kampf zu verlieren drohen, heißt nicht, dass der Einfluss der Konzerne auf die Politik geschrumpft wäre, im Gegenteil. Es zeugt von einer Verlagerung. Im Warenhaus Erde haben andere Abteilungsleiter an Einfluss gewonnen, insofern haben Sie vollkommen recht: Orley statt EMCO. Nur handelte EMCO im Sinne amerikanischer Interessen, weil unsere Leute in der Regierung saßen, während Orley da gar nicht erst reinwill. Das macht ihn so unberechenbar. Davor haben Regierungen Angst. – Und jetzt stellen Sie sich, die Chronik staatlichen Versagens vor Augen, die Frage, ob diese Form der Übernahme wirklich so schlecht ist.«
    »Wie bitte?« Keowa legte den Kopf schief. »Das ist nicht Ihr Ernst?«
    »Ich versuche Ihnen nichts zu verkaufen. Ich will, dass Sie die Sache als mathematische Gleichung betrachten, jede ihrer Variablen, ohne Abneigung, ohne Sympathie. Können Sie das?«
    Keowa überlegte. Eine merkwürdige Diskussion, in die Palstein sie da verwickelt

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