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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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absorbieren und den Wärmeverlust einzudämmen. Der Beton sollte, das Einverständnis der Amerikaner vorausgesetzt, in den bestehenden Fabrikationsanlagen am Nordpol ohne Hinzufügen von Wasser durch bloßes Erhitzen gewonnen und in einem automatisierten Montagewerk zu baugerechten Komponenten gegossen werden. Mondbeton stand im Ruf, zehnmal strapazierfähiger als üblicher Beton zu sein, resistent gegen Erosion, kosmische Strahlung und Mikrometeoriten, außerdem war er billig.
    Gaias Skelett nahm Gestalt an: ein gewaltiger Hauptträger als Rückgrat, durch den alle erforderlichen Leitungen und Schächte sowie drei Hochgeschwindigkeitsaufzüge verliefen, davon abzweigend stählerne Rippen, um Außenhülle und Stockwerke zu tragen, tief ins Felsplateau getriebene Verankerungen. Kreuzverstrebungen schienen nicht nötig zu sein, bis jemandem auffiel, dass die Struktur auf weit höhere Weise belastet sein würde als ursprünglich gedacht, da das umgebende Vakuum dem Druck der künstlich erzeugten Atmosphäre im Inneren nichts entgegenzusetzen hatte. Etliche Annahmen wurden hinfällig, alle Parameter fieberhaft neu berechnet, bis die Experten das Problem für gelöst erklärten. Danach hatte sich Lynns Fundus an Untergangsfantasien um ein Hotel erweitert, das irgendwann platzte.
    Doch Gaia erstrahlte.
    Von innen heraus leuchtete sie und kraft starker Scheinwerfer, die ihr makelloses, schneeweiß beschichtetes Äußeres in weichem Licht badeten. Nach Jahren der Mühsal hatte Lynn es geschafft. Sie hatte Julians Traumfrau vollendet, jedenfalls zu allergrößten Teilen. Einigen der preiswerteren Zimmer mangelte es noch an Wasserversorgung und Abfallbeseitigung, eine multireligiöse Kirche dort, wo Gaias Knie sich winkelten, bedurfte redundanter Lebenserhaltungssysteme, um den Sicherheitsstandards vollauf zu genügen, und was die Banalität eines Raumhafens anging, würden sie später vielleicht einen bauen, um Direktverbindungen zwischen Gaia und OSS zu ermöglichen. Andererseits schlug der Lunar Express jeden Direktflug. Mit ihm einzutreffen, machte eindeutig mehr Spaß, und außerdem hatten sie ja ein Flugfeld für den interlunaren Verkehr. Alles war gut.
    Nur nicht in Lynns Schädel.
    In ihren Albträumen war Gaia schon so oft in sich zusammengekracht, dass sie der Katastrophe inzwischen entgegenfieberte. Ein ganzer Büroraum voller Gutachten besagte, dass es nicht dazu kommen würde, doch sie wusste es besser. Der Gedanke, etwas übersehen zu haben, hatte sie in den Wahnsinn getrieben, und Wahnsinn war zerstörerisch.
    Ihr seid alle nicht sicher, dachte sie und stellte die Frau vor,
     
    »– die rund um die Uhr für Ihre Sicherheit und für Ihr Wohlbefinden sorgen wird, zusammen mit ihrem Team. Liebe Freunde, ich freue mich, Sie mit unserer Hoteldirektorin oder besser gesagt, Gaias Managerin bekannt machen zu dürfen: Dana Lawrence.«
    Planmäßig hatte der Lunar Express den hoteleigenen Bahnhof erreicht. Eine Weile waren sie am Rande der Schlucht entlanggefahren, sodass sie exorbitante Blicke auf das gegenüberliegende Bauwerk genießen konnten, hatten ihren äußeren Ausläufer überquert und sich Gaia in einer weitläufigen Kurve genähert. Unmittelbar vor dem Hotel stieg das Gelände an, ein Umstand, der die Erbauer bewogen hatte, den Schienenstrang nicht bergauf zu führen, sondern in einen Tunnel münden zu lassen, sodass der Bahnhof im Untergrund lag. 300 Meter hinter der gigantischen Figur endeten die Gleise in einer kahlen Halle. Diesmal gab es beim Ausstieg kein Vakuum zu durchschreiten. Über Gangways gelangten sie in einen breiten, druckbeaufschlagten Korridor mit Laufbändern, die geradewegs unter das Hotel führten, von dort zu den Fahrstühlen und hoch in die Lobby, eine organisch gestaltete Servicelandschaft voller Sitzinseln und eleganter Schreibtische. Hinter Aquarienscheiben glitten Fische dahin. Kokette Bäumchen in Frühlingsgrün flankierten eine geschwungene Rezeption, über deren Rund in Entsprechung des Sonnensystems holografisch animierte Planeten um ein hell leuchtendes Zentralgestirn kreisten, dessen Oberfläche Protuberanzen spie. Legte man den Kopf in den Nacken, schien sich der Raum in einem Mikado gläserner Brücken zu verlieren. Der Umstand, dass die Rezeption in Gaias verglastem Oberbauch beheimatet war, wo sich das romanische Riesenfenster rundete, verlieh ihr etwas Kathedralenartiges. Über die Schlucht hinweg blickte man auf die sonnenbeschienene andere Seite und die Pfeiler der

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