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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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hatte. Sie war angetreten, ihn zu interviewen und zu analysieren, nun kehrte sich das Verhältnis um.
    »Ich denke schon«, sagte sie.
    »Und?«
    »Es gibt keinen idealen Zustand. Aber es gibt Annäherungen. Viele davon hart erkämpft. Mit der Abschaffung der Sklaverei hat sich die Idee vom freien Bürger in allen Schichten der Gesellschaft durchgesetzt. Als Bürger eines demokratisch legitimierten Staatswesens ist man an Gesetze gebunden, grundsätzlich aber frei. Richtig?«
    »D'accord.«
    »Als Mitglied einer Konzerngemeinschaft ist man hingegen Eigentum. Das ist der Wandel, der sich vollzieht.«
    »Auch richtig.«
    »Daraus auszubrechen scheint mir mit ähnlichen Schwierigkeiten verbunden zu sein, als versuche man, das Gefüge der Naturgesetze außer Kraft zu setzen. Die Freiheit des Individuums, nur noch eine Idee. Wir bewohnen eine Kugel. Kugeln sind in sich geschlossene Systeme, keine Chance also, zu entrinnen, und die Kugel ist aufgeteilt. Im selben Moment, wo wir das alles auf diesem schönen See erörtern, wird in einer fernen Umlaufbahn der Mond aufgeteilt, die nächste Kugel. Es ist kein nichtkommerzieller Raum mehr verblieben.«
    »Stimmt.«
    »Tut mir leid, Gerald, ich bin sachlich – aber dagegen werde ich ankämpfen, bis zuletzt!«
    »Ihr gutes Recht. Ich kann Sie verstehen, dennoch, denken Sie darüber nach. Man kann den Gedanken, Eigentum zu sein, hassen. Oder sich mit ihm arrangieren.« Palstein ließ ein Tau durch die Hände laufen und lächelte. Mit einem Mal wirkte er sehr entspannt, ein ruhender Buddha. »Und vielleicht ist das Arrangement ja die bessere Wahl.«
     

GAIA, VALLIS ALPINA, MOND
     
    Die Sonne verlor an Gewicht.
    Mit jeder Minute gingen ihrem Mantel 60 Millionen Tonnen Substanz verloren, Protonen, Elektronen, Heliumkerne sowie einige elementare Nebendarsteller, Ingredienzien jener geheimnisvollen Rezeptur des Urnebels, von dem es hieß, er habe die hauseigenen Himmelskörper hervorgebracht. Unablässig strömte der Sonnenwind ins All, lenkte Kometenschweife um, erglühte als Polarlicht am irdischen Firmament, reinigte die interplanetaren Räume von abgelagerten Gasen und gelangte weit über Plutos Bahn bis in die Oortsche Wolke. Kosmische Hintergrundstrahlung mischte sich hinein, schwach, aber allgegenwärtig, ein lichtschneller Fluss von Geschichten über Supernovae, Neutronensterne, Schwarze Löcher und die Frühzeit des Universums. Allen diesen Einflüssen war der Mond, seit ihn die Erde im Zuge ihrer Verehelichung mit einem Kleinplaneten namens Theia gezeugt hatte, schutzlos ausgesetzt. Beständig strich der Atem der Sonne über ihn hinweg. Kein Magnetfeld lenkte den Fluss hochenergetischer Teilchen ab, und obwohl sie nur wenige Mikrometer tief eindrangen, war der lunare Staub bis auf den Grund damit gesättigt, um- und umgepflügt von viereinhalb Milliarden Jahren Meteoritenbeschuss, der das Unterste zuoberst gekehrt hatte. Seit seiner Gestaltwerdung hatte der Trabant so viel vom solaren Plasma geschluckt, dass es reichte, eine rohstoffhungrige Menschheit auf den Plan zu rufen, die nun mithilfe von Raumschiffen und Fördermaschinen antrat, um ihm sein Erbe zu entreißen.
     
    Manchmal stürmte es auf der Sonne.
    Dann fleckte sich ihr Leib, spannten sich gewaltige Plasmabögen über die Ozeane ihrer Glut, schleuderte sie das Zigfache ihrer üblichen Strahlung in den Weltraum, und der Sonnenwind schwoll zum Orkan, der mit verdoppelter Geschwindigkeit durchs Sonnensystem raste. Während dieser Zeit empfahl es sich für Astronauten, auf die Abschirmung ihrer Unterkunft zu vertrauen und tunlichst nicht in einem Raumschiff unterwegs zu sein. Jeder ionisierte Partikel, der eine menschliche Zelle durchschlug, schädigte die Erbsubstanz auf irreparable Weise. Alle elf Jahre traten die solaren Orkane mit geballter Häufigkeit auf, 2024 erst hatten sie den Shuttle-Verkehr zeitweise lahmgelegt und die Bewohner der Mondbasen unter die Erde gezwungen. Nicht einmal Maschinen mochten die Partikelstürme, weil sie ihre Außenhaut schädigten, die gespeicherten Daten ihrer Mikrochips löschten, Fehlschaltungen verursachten und unerwünschte Kettenreaktionen in Gang setzten.
    Sonnenstürme, darüber herrschte Einigkeit, bildeten das größte Risiko in der bemannten Raumfahrt.
     
    Am 26. Mai 2025 ging der Atem der Sonne ruhig und gleichmäßig.
    Wie gewohnt verströmte er sich in die Heliosphäre, erreichte Merkur, mischte sich mit venusischem und marsianischem Kohlendioxid und irdischer Luft,

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