Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
er von alldem zu halten hatte. Ein Stück abseits landeten filigran gebaute Geschöpfe, die keine Vögel waren und auch keine Insekten. Am ehesten erinnerten sie ihn an fliegende Pflanzen. Er riss sich los von ihrem Anblick, und gemeinsam schlenderten sie den Strand entlang.
    »Wir haben den Ozean so vorgefunden, als wir im Netz nach sicheren Verstecken Ausschau hielten«, erklärte Yoyo. »Purer Zufall. Vielleicht hätten wir direkt mit der Zentrale herziehen sollen, aber ich war im Zweifel, ob wir hier wirklich ungestört sind.«
    »Ihr habt diese Welt nicht programmiert?«, fragte Jericho.
    »Die Insel schon. Alles andere war da. Ozean, Himmel und Wolken, komische Tiere im Wasser, die manchmal bis dicht unter die Oberfläche kommen. Die beiden Sonnen gehen auf und unter, etwas zeitversetzt. Es gibt auch Land. Bis jetzt haben wir nur welches in der Ferne gesehen.«
    »Jemand muss das alles geschaffen haben.«
    »Meinst du?«
    »Es gibt einen Server, auf dem die Daten liegen.«
    »Wir konnten ihn bisher nicht lokalisieren. Ich glaube eher, da ist ein ganzes Netz am Werk.«
    »Womöglich ein Regierungsnetz«, gab Jericho zu bedenken.
    »Kaum.«
    »Wie kannst du da sicher sein? Ich meine, was soll das? Wer hat ein Interesse daran, so eine Welt zu erschaffen? Zu welchem Zweck?«
    »Zum Selbstzweck vielleicht?« Sie zuckte die Achseln. »Heute ist keiner mehr in der Lage, Second Life ganzheitlich zu erfassen. In den letzten Jahren sind Tools in unüberschaubarer Zahl erzeugt und permanent modifiziert worden. Jeder baut seine eigene Welt. Das meiste ist Schrott, anderes von unglaublicher Brillanz. Hier kommst du rein, da nicht. Allgemein gilt die Verbindlichkeit des Protokolls, damit jeder sehen kann, was der andere sieht, aber ich glaube, nicht einmal das trifft noch zu. In manchen Regionen herrschen völlig fremdartige Algorithmen.«
    Jericho war bis dicht an den Rand getreten. Wo Wasser den Strand hätte überspülen müssen, fiel das Gestade schwindelerregend ab. Tief unter ihnen brach sich das Licht der Sonnen auf der geriffelten Oberfläche des Ozeans.
    »Du meinst, diese Welt wurde von Bots geschaffen?«
    »Ich gehöre nicht zu den Weichbirnen, die sich aus Speicherplätzen eine neue Religion basteln.« Yoyo trat neben ihn. »Was ich aber glaube, ist, dass die künstliche Intelligenz beginnt, das Web in einer Weise zu durchdringen, wie es sich seine Schöpfer nicht vorstellen konnten. Computer erschaffen Computer. Second Life hat ein Stadium erreicht, in dem es sich aus eigenen Impulsen weiter entwickelt. Anpassung und Auslese, verstehst du? Niemand kann sagen, wann das begonnen hat, und schon gar nicht, wo es endet. Was sich vollzieht, ist die konsequente Fortführung der Evolution mit anderen Mitteln. Kybernetischer Darwinismus.«
    »Wie seid ihr hierher gelangt?«
    »Sag ich doch. Zufall. Wir suchten ein abhörsicheres Eckchen. Ich fand es archaisch, wie Wanderarbeiter im ANDROMEDA oder im Stahlwerk zu hocken, wo uns die Schweine von Cypol jederzeit die Türe eintreten können. Gut, auch im Netz treten sie dir die Türe ein. Verschlüsselst du, bist du erledigt, ebenso gut kannst du sie einladen, dich zu verhaften. Kommuniziert haben wir über Blogs, mit Verzerrern und Anonymisierern. Trotzdem, das war's noch nicht. Also dachte ich, verziehen wir uns nach Second Life. Da suchen sie zwar auch wie die Irren, aber sie wissen nicht, wonach. Ihre ganzen Ontologien und Taxonomien funktionieren hier nicht.«
    Jericho nickte. Second Life eignete sich hervorragend als Unterschlupf, wenn man der staatlichen Überwachung entkommen wollte. Virtuelle Welten waren weit komplexer aufgebaut und schwieriger zu kontrollieren als simple Blogs oder Chatrooms. Es machte einen Unterschied, Textbausteine in einen verdächtigen Kontext zu setzen oder aus Mimik, Gestik, Aussehen und Umfeld virtueller Personen auf Konspiration und zweifelhafte Gesinnung zu schließen. In Second Life konnte alles und jeder ein Code sein, Freund oder Feind.
    Es war nur logisch, dass keine Behörde Chinas so viele Mitarbeiter auf sich vereinte wie die staatliche Internet-Überwachung. Cypol versuchte, jeden Bereich des virtuellen Kosmos zu durchdringen, was ihr natürlich ebenso wenig gelang wie die flächendeckende Infiltrierung der Bevölkerung durch die reguläre Polizei in der wirklichen Welt. Um Abermillionen User unter Beobachtung zu halten, mangelte es ihr trotz ihres gewaltigen Apparats an menschlichem Personal. Folgerichtig setzte Cypol auf

Weitere Kostenlose Bücher