Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
Augen waren hinter einer 3-D-Brille geschützt, die Luftzufuhr erfolgte über winzige Schläuche, die man kaum spürte. Bedingungen, unter denen man Virtualität auf eine Weise erlebte, dass einem die Wirklichkeit hinterher schäbig vorkam, künstlich und belastend.
    »Eine winzige Spridse«, fuhr die Frau fort, »in die Augänwinkel. Das lähmd die Lider. Die Augen wärden befeuschtet, abär du kannsd sie nischt mähr schlissen. Du mussd alles mit ansehen. C'est pour les masochistes.«
    Es ist bei Weitem schlimmer, alles mit anzuhören, dachte Jericho. Zum Beispiel deinen saublöden Akzent. Er fragte sich, woher er die Frau kannte. Definitiv war sie irgendeinem alten Film entsprungen.
    »Wo geht's überhaupt hin, Yoyo?«, fragte er, obwohl er es ahnte. Diese Verbindung war ein Schlupfloch, sie führte aus der überwachten Welt des kybernetischen Shanghai hinaus in eine Region, die den Internet-Polizisten wahrscheinlich unbekannt war. Lichter jagten vorbei, ein irres Flackern. Die Kugel begann sich zu drehen. Jericho schaute zwischen seinen Füßen durch den transparenten Boden und sah kein Ende des Schachts, nur, dass er sich zu verbreitern schien.
    »Yo Yo?« Sie stieß ein glockenhelles Lachen aus. »Isch bin nischt Yo Yo. Le voilà!«
    Im nächsten Moment schwebten sie unter einem pulsierenden Sternenhimmel. Vor ihren Augen drehte sich langsam ein schimmerndes Gebilde, das einer Spiralgalaxie glich und doch etwas völlig anderes sein konnte. Auf Jericho machte es den Eindruck von etwas Lebendigem. Er beugte sich vor, doch ihr Aufenthalt in dem majestätischen Kontinuum währte nur Sekunden, dann schossen sie mitten hinein in eine Röhre aus Licht.
    Und schwebten erneut.
    Diesmal wusste er, dass sie ihr Ziel erreicht hatten.
    »Bäeindruggt?«, fragte die Frau.
    Jericho schwieg. Kilometertief unter ihnen erstreckte sich ein grenzenloser blaugrüner Ozean. Winzige Wolken zogen dicht über der Oberfläche dahin, die Rücken rosa und orange gesprenkelt. Die Kugel sank auf etwas Großes zu, das hoch über den Wolken dahintrieb, etwas mit einem Berg und bewaldeten Hängen, Wasserfällen, Wiesen und Stränden. Jericho erblickte Schwärme geflügelter Wesen. Kolossale Tiere weideten an den Ufern eines glitzernden Flusslaufs, der sich schlangengleich um den vulkanischen Gipfel wand und ins Meer mündete –
    Nein, nicht mündete.
    Fiel!
    In einer Fahne aus Gischt stürzte das Wasser über den Rand der fliegenden Insel und verteilte sich im Blaugrün des Ozeans. Je näher sie ihr kamen, desto mehr erschien sie Jericho wie ein gigantisches UFO. Er legte den Kopf in den Nacken und sah zwei Sonnen am Himmel erstrahlen, eine weißes Licht emittierend, die andere umkränzt von einer fremdartigen, türkisen Aura. Ihr Gefährt fiel schneller, bremste ab und folgte dem Verlauf des Flusses. Kurz erhaschte Jericho einen Blick auf die riesigen Tiere – sie glichen nichts, was er je zuvor gesehen hatte. Dann schossen sie über sanft gewellte Wiesen dahin, jenseits derer das Gelände zu einem schneeweißen Strand abfiel.
    »Du wirsd wieder abge'olt«, sagte die Französin und vollführte eine kurze Handbewegung. Die Kugel verschwand ebenso wie sie selbst, und Jericho fand sich im Sand hockend.
    »Ich bin hier«, sagte Yoyo.
    Er hob den Kopf und sah sie auf sich zukommen, barfuß, den schlanken Körper in eine kurze, glänzende Tunika gehüllt. Ihr Avatar war das perfekte Abbild ihrer selbst, was ihn irgendwie erleichterte. Nach der abstrusen Irma-La-Douce-Kopie hatte er schon befürchtet –
    Das war es! Die Französin hatte ihn an eine Filmfigur erinnert, und jetzt wusste er endlich auch, an wen. Sie war das hundertprozentige Abbild von Shirley McLaine in ihrer Rolle als Irma La Douce. Ein uralter Streifen, 60 oder 70 Jahre alt. Dass Jericho sie überhaupt kannte, verdankte sich seiner Leidenschaft für das Kino des 20. Jahrhunderts.
    Yoyo betrachtete ihn eine Weile schweigend. Dann sagte sie:
    »Ist das wahr mit Grand Cherokee?«
    »Was?«
    »Dass du ihn umgebracht hast.«
    Jericho schüttelte den Kopf.
    »Wahr ist nur, dass er tot ist. Umgebracht hat ihn Kenny.«
    »Kenny?«
    »Der Mann, der auch deine Freunde ermordet hat.«
    »Ich weiß nicht, ob ich dir trauen kann.« Sie trat neben ihn und heftete ihre dunklen Augen auf ihn. »Du hast mich im Stahlwerk gerettet, aber das muss nichts heißen, oder?«
    »Nein«, gab er zu. »Nicht unbedingt.«
    Sie nickte. »Gehen wir ein bisschen.«
    Jericho schaute sich um. Er wusste nicht, was

Weitere Kostenlose Bücher