Limit
schon keiner mehr, da der Sieger kraft Orleys Entscheidung feststand. Weniger aus Gründen der Sympathie, sondern weil die notorisch klamme NASA dann doch über mehr Geld und eine bessere Infrastruktur verfügte als alle anderen Raumfahrtnationen zusammengenommen. Bis auf China vielleicht. Dort hatte man während der Neunziger Ambitionen erkennen lassen, sich zu kosmischer Größe aufzuschwingen, in bescheidener Selbsteinschätzung zwar und mit einem Gesamtbudget, das eben mal ein Zehntel des amerikanischen betrug, dafür getrieben von Patriotismus und virulenten Weltmachtansprüchen. Inzwischen, nachdem ein gewisser Zheng Pang-Wang 2014 begonnen hatte, die chinesische Raumfahrt zu finanzieren, lagen Budget und Anspruch beinahe gleichauf, nur mit dem Know-how haperte es – ein Makel, dem Peking abzuhelfen gedachte.
Zheng, Hohepriester eines global agierenden Technologiekonzerns, dessen größter Ehrgeiz darin bestand, China noch vor den USA auf den Mond zu bringen und die Förderung von Helium-3 zu ermöglichen, wurde in den Medien gern auch als Orley des Ostens bezeichnet. Tatsächlich verband ihn mit dem Briten sein immenser Reichtum, außerdem gebot er über ein Heer hochklassiger Konstrukteure und Wissenschaftler. Im Folgenden arbeitete die Zheng-Group fieberhaft an der Verwirklichung eines Weltraumfahrstuhls, wohl wissend, dass Orley dasselbe tat. Während der aber sein Ziel erreichte, löste Zheng das Problem nicht. Dafür gelang der Gruppe der Bau eines Fusionsreaktors, doch wieder geriet man ins Hintertreffen, weil Orleys Modell sicherer und effizienter arbeitete. Die Partei wurde nervös. Man drängte Zheng, endlich Erfolge vorzuweisen, nötigenfalls indem er der Langnase ein Angebot unterbreite, das diese nicht ablehnen könne, also ging der alte Zheng mit Orley essen und ließ ihn wissen, Peking wünsche in naher Zukunft eine Kooperation.
Orley sagte, Peking könne ihn am Arsch lecken. Aber ob er noch eine Flasche von dem wunderbaren Tignanello mit ihm zu teilen wünsche.
Warum nicht alles teilen, fragte Zheng.
Was denn?
Na, Geld, viel Geld. Macht, Ansehen und Einfluss.
Geld habe er selber.
Ja, aber China sei hungrig und äußerst motiviert, weit mehr als das erschlaffte, übergewichtige Amerika, dem noch die Finanzkrise von 2009 in den Knochen stecke, sodass sein ganzer Gestus bis heute etwas Schlotterndes an sich habe. Frage man einen Amerikaner nach der Zukunft, würde er in 70 Prozent aller Fälle etwas zutiefst Angsteinflößendes darin erblicken, während in China jedermann frohgemut dem nächsten Tag entgegensehe.
Das sei ja schön, sagte Orley, und ob sie nicht doch lieber auf einen Ornellaia umsteigen sollten.
Es half alles nichts, und ganz gewiss war jedes Abbauvorhaben mit herkömmlicher Raketentechnologie unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten unergiebig und dazu verdammt, die chinesische Raumfahrt ins Defizit zu stürzen. Doch mit dem Trotz aufstampfender Kinder beschloss die Partei, eben dies zu tun, der Hoffnung anvertraut, Zheng und die Geistesgrößen der China National Space Administration würden in absehbarer Zeit aus dem Quark kommen. Und weil Amerika keine Skrupel gezeigt hatte, seine Fördermaschinen auf eben jene Region des Mondes loszulassen, die nach allgemeiner geologischer Auffassung überdurchschnittlich hohe Helium-3-Vorkommen verhieß, ein Grenzgebiet des Mare Imbrium, verfrachtete man unter immensen Anstrengungen die Komponenten für eine mobile chinesische Basis und raupenkettenbetriebene Sonnenöfen eben dorthin, in direkte Nachbarschaft zum unliebsamen Konkurrenten, und begann am 2. März 2023 mit der eigenen Förderung. Amerika gab sich verwundert, dann erfreut. Man hieß China auf dem Mond herzlich willkommen, sprach von Welterbe und Völkergemeinschaft und kümmerte sich nicht weiter um das rührende Streben des Nachgekommenen, dem Mondstaub seinen mickrigen Anteil an Helium-3 abzupressen.
Bis zum 9. Mai 2024.
Beide Nationen hatten im Laufe der vorangegangenen Monate ihre Förderung sukzessive ausgeweitet. An diesem Tag fand zwischen der amerikanischen Mondbasis und Houston ein Gespräch von einiger Brisanz statt. Unmittelbar darauf erreichte die alarmierende Mitteilung das Weiße Haus, chinesische Astronauten hätten mit ihren Maschinen bewusst und in eindeutiger Absicht die Fördergrenzen überschritten und amerikanisches Gebiet annektiert. Man fühle sich provoziert und bedroht. Der chinesische Botschafter wurde einbestellt, Peking der Grenzverletzung
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