Limit
Beils auseinanderbiegen konnte. Die Kette der Handschelle schrammte über die Bruchkante.
»Wo –«, begann Nyela.
»Rüber.« Jericho deutete mit einer Kinnbewegung zu einem metallenen Arbeitstisch. »Mit dem Rücken zur Platte, Hände draufpressen, so flach wie möglich. Kette stramm ziehen.«
Vorboten seelischer Not, die sie gleich auszustehen hätte, verdüsterten Nelés Züge. Sie folgte seinen Anweisungen und verdrehte die Hände.
»Nicht bewegen«, sagte Jericho. »Still halten, ganz still.«
Sie schaute zu Boden. Er visierte die Mitte der Kette an, holte aus und spaltete sie mit einem einzigen Hieb.
»Jetzt raus hier.«
»Nein.« Sie stellte sich ihm in den Weg. »Wo ist Jan? Was ist passiert?«
Jericho spürte ein taubes Gefühl auf der Zunge.
»Er ist tot«, sagte er.
Nyela sah ihn an. Was immer er erwartet hatte, Fassungslosigkeit, Entsetzen, Tränen, nichts davon. Nur stille Trauer und Liebe für den Mann, der erschossen im Museum lag, und zugleich eine merkwürdige Leichtigkeit, als wolle sie sagen, siehst du, so kann es gehen, irgendwann musste es ja passieren. Er zögerte, dann drückte er Nyela kurz und feste an sich. Sie erwiderte die Umarmung mit sanftem Druck.
»Ich bringe Sie hier raus«, versprach er.
»Ja«, nickte sie matt. »Das höre ich ständig.«
Oben war niemand, nur der tote Afrikaner starrte hinter der Bar hervor, als erwarte er eine Erklärung für das, was ihm widerfahren war. Jericho eilte zu der zerschossenen Restauranttür und spähte hinaus.
»Wir werden laufen müssen.«
»Wieso?«
»Mein Wagen steht einige Straßen entfernt.«
»Meiner nicht.« Nyela beugte sich über die Bar, zog eine Schublade auf und entnahm ihr einen Datenstick. »Jan war heute früh damit unterwegs. Er müsste ihn vor dem Muntu abgestellt haben.«
Yoyo hatte von einem Nissan OneOne gesprochen. Ein ebensolches Modell parkte wenige Schritte entfernt in hochgefahrenem Zustand. Eine eiförmige Kabine, deren Design an einen freundlichen kleinen Wal erinnerte. Beiderseits der Fahrgastzelle waren keulenartige, in Rädern mündende Schenkel aufgehängt. Bildeten sie eine gestreckte Gerade, ruhte die Kabine dicht über dem Boden, verringerte man den Radstand, stellten sie sich zum spitzen Winkel auf, und die Kabine fuhr nach oben. Aus einem flachen, windschnittigen Sportwagen wurde ein platzsparender Turm. Jericho trat unter den Türsturz und suchte die Straße ab. In der Mittagsglut erschienen Formen und Farben wie überbelichtet. Es roch nach Blütenstaub und gebackenem Asphalt. Kaum Fußgänger waren zu sehen, dafür hatte der Verkehr an Dichte zugenommen. Er legte den Kopf in den Nacken und sah den zigarrenförmigen Leib eines Touristenzeppelins, der sich mit gutmütigem Brummen ins Blickfeld schob.
»In Ordnung«, rief er ins Innere. »Kommen Sie.«
Die verspiegelte Kabinenkuppel bog Himmel, Wolken und Fassaden zum Einstein'schen Raum. Nyela ließ die Abdeckung hochfahren. Ein überraschend geräumiger Innenraum tat sich auf, mit einer durchgehenden Bank und Notsitzen.
»Wohin?«, fragte sie.
»Grand Hyatt.«
»Weiß schon.« Sie schwang sich hinein, Jericho rutschte neben sie. Er sah, dass der Nissan über schwenkbare Armaturen verfügte. Die komplette Steuerung konnte nach Belieben vom Fahrer zum Beifahrer verlagert werden. Geräuschlos senkte sich die Kuppel herab. Getöntes Glas filterte die grellen Wellenlängen aus dem Mittagslicht heraus und schuf eine kokonartige Atmosphäre. Mit dezentem Summen sprang der Elektromotor an.
»Nyela, ich –« Jericho massierte seinen Nasenrücken. »Ich muss Sie etwas fragen.«
Sie sah ihn an, aus Augen, die zu verlöschen schienen.
»Was?«
»Ihr Mann wollte mir ein Dossier geben.«
»Ein – mein Gott!« Sie presste einen Handballen gegen die Lippen. »Sie haben es nicht? Nicht mal das Dossier konnte er Ihnen geben?«
Jericho schüttelte stumm den Kopf.
»Wir hätten die Schweine hochgehen lassen können!«
»Er trug es bei sich?«
»Nicht das aus dem Crystal Brain, das hat Kenny, aber –«
Wie auch anders, dachte Jericho müde.
»Aber das Duplikat –«
»Augenblick!« Jericho ergriff ihren Arm. »Es gibt ein Duplikat?«
»Er wollte es Ihnen aushändigen.« Ihr Blick bekam etwas Flehentliches. »Glauben Sie mir, Jan hatte keine Wahl, als Sie und das Mädchen zu opfern! Er war nicht so, er war kein Verräter. Er hat immer –«
»Nyela! Wo ist das Duplikat?«
»Wir mussten Kenny den Kristall überlassen, und danach hätte er
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