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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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in künstliches Tageslicht tauchte. Jenes Weiß, von dem Menschen berichteten, die klinisch gestorben und wieder ins Leben zurückgekehrt waren. Nahtod-Erfahrung, das Jenseits, vermeintlich. Tatsächlich nichts als Ausschüttungen halluzinogener Tryptamin-Alkaloide im Gehirn.
    Wie sehr er es bedauerte, Jericho das Dossier nicht ausgehändigt zu haben! Vorbei, verstrichen. Schwach flackerte die Flamme der Hoffnung, sich hinsichtlich Nelés geirrt zu haben. Dass sie doch noch lebte, und dass der Detektiv etwas für sie tun konnte, falls er durchkam. Mehr fiel ihm zur Situation nicht ein, aber es schien ihm nicht das Schlechteste, seine letzten Gedanken dem einzigen Menschen zu widmen, den er mehr geliebt hatte als sich selbst.
    Die Erlösung vom Kerbtierdasein. Am Ende doch?
    Xin trat in sein Blickfeld.
    Mit einem Gurgeln riss Vogelaar die Waffe hoch, vielmehr spannte er alle Muskeln, um es zu tun. Ebenso gut hätte er versuchen können, mit einer 12-Kilo-Hantel nach dem Chinesen zu werfen. Schwer wie Blei lag die Pistole in seiner Hand. Was ihm an Kraft verblieben war, reichte eben noch, um Xin mit den Augen zu erschießen.
    Der Killer kräuselte verächtlich die Lippen.
    »Randbedingung, Idiot!«, sagte er.
     
    Xin schoss Vogelaar in die Brust und ging mit langen Schritten weiter, ohne den Toten eines Blickes zu würdigen. Musste er sich Vorwürfe machen? War es ein Fehler gewesen, Mickey in letzter Sekunde ins Museum zu beordern, damit es diesmal keine Pannen gab? Vogelaar hatte den Iren entdeckt und falsche Schlüsse gezogen, dabei hing Nyela an zwei Paar Handschellen im Keller des Muntu. Unversehrt, wie Xin es versprochen hatte.
    Hatte er nicht zugesagt, sie leben zu lassen?
    Das hatte er, verdammt!
    Ja, er hätte sie leben lassen! Es hätte ihm gefallen, sie leben zu lassen! Vogelaar, dieser dämliche Primat, hatte nichts begriffen, rein gar nichts. Jetzt war alles dahin, das Gesetz forderte seinen Tribut. Jetzt musste er die Frau töten. Auch das hatte er versprochen.
    Xin begann zu laufen, röhrendes Vieh vor sich her treibend, das in seiner Dumpfheit versuchte, sich durch die schmale Pforte zu quetschen, alle auf einmal. Ein Mädchen vor ihm stolperte, fiel zu Boden. Er trampelte über sie hinweg, schleuderte eine andere zur Seite, drosch einem älteren Mann den Lauf der Waffe über den Schädel, prügelte sich den Weg frei, keilte sich wie ein Rammbock in die Flüchtenden und brach auf der anderen Seite wieder hervor, das Markttor von Milet im Blick, unter dem Jericho soeben in den angrenzenden Flügel verschwand. Seine Waffe hämmerte eine Garbe in zwei Jahrtausende altes Gestein. Menschen schrien, rannten, warfen sich zu Boden, das immer gleiche ermüdende Schauspiel. Die Pistole als Knüppel schwingend, folgte er Jericho, sah ihn eins werden mit den Passanten, welche die Prozessionsstraße bevölkerten, und an seiner statt zwei Uniformierte aus einem Seitengang stürmen, die Waffen im Anschlag, ratlos, wer eigentlich ihr Feind war. Er mähte sie nieder, ohne in seinem Lauf innezuhalten. Die Bugwelle der Panik, die er vor sich herschob, drängte auf babylonisches Terrain.
    Wo war der elende Detektiv?
     
    Jericho rannte die Prozessionsstraße entlang.
    Wie absurd es war, mit einer geladenen Waffe in der Hand zu fliehen, anstatt sie zu gebrauchen, doch sobald er stehen bliebe, würde Xin ihn erwischen, noch bevor er sich umdrehen und den Chinesen ins Visier nehmen konnte. Der Killer war darauf trainiert, kleine Ziele zu treffen, jede sich auftuende Lücke zu nutzen. So schwang er die Glock wie den Stab Mose, »Weg da!« und »Zur Seite!« schreiend, teilte das Menschenmeer, hastete dem schwarzen Leib Hadads entgegen, vorbei an grinsenden, gedrungenen Löwenskulpturen, die den Verdacht aufkeimen ließen, ihre Vorfahren hätten es mit Mastinos und Möpsen getrieben, was wiederum in Fragen mündete wie die, ob Raubkatzen vergleichbarer Art tatsächlich die antiken Hochkulturen oder nur die Fantasie zugedröhnter Bildhauer bevölkert hatten, vielleicht auch einfach schlechter Bildhauer, da ja nicht alles, was den Weg in Museen fand, notgedrungen gut sein musste, und überhaupt, was für Gedanken in einer solchen Lage!
    Vor ihm stob eine Familie auseinander.
    In Hadads Rücken reihten sich hohe, schmale Säulen aneinander, ihrer Sinnhaftigkeit beraubt, da fehlte, was sie einst getragen hatten. Einem inneren Impuls folgend, warf er sich nach rechts, hörte die dumpfe Entladung der Pistole und den Wettergott unter

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