Limit
Lynn, bist du da?«
»Ich bin hier, Daddy.«
»Was soll das? Was ist das für eine Geschichte?«
»Ich – ich wollte dich damit nicht behelligen.« Sie klang zittrig und aufgebracht. »Selbstverständlich habe ich –«
»Lynn, Julian, es tut mir leid«, unterbrach Shaw. »Aber dafür ist jetzt gerade überhaupt keine Zeit! Der Chinese hat sich vorhin wieder gemeldet respektive einer seiner Leute. Sie sind auf direktem Wege zu uns. Heute Vormittag haben sie versucht, mehr über die Hintergründe des Dokuments in Erfahrung zu bringen, was in einem Desaster gipfelte. Es gab Tote, aber sie haben neue Informationen.«
»Was denn für Informationen? Jennifer, wer –«
»Warten Sie, Julian. Wir stehen in Verbindung mit dem chinesischen Jet. Ich schalte Sie weiter.«
Eine Sekunde verstrich, dann erklang eine fremde Männerstimme, gebettet in atmosphärisches Rauschen:
»Mr. Orley? Mein Name ist Owen Jericho. Ich weiß, Sie haben tausend Fragen, aber ich muss Sie jetzt bitten, mir einfach zuzuhören. In Ergänzung des Dokuments konnten wir herausfinden, dass vergangenes Jahr von afrikanischem Boden aus ein Nachrichtensatellit in die Erdumlaufbahn geschossen wurde. Betreiber war die damalige Regierung Äquatorialguineas, namentlich General Juan Mayé, ein Putschist.«
»Ja, ich weiß«, sagte Julian. »Mayé und sein Satellit. Er hat sich lächerlich gemacht mit dem Ding.«
»Was Sie vielleicht nicht wissen, ist, dass Mayé ein Strohmann chinesischer Lobbyisten war. Möglicherweise ist seine Inthronisierung auf Betreiben, wenigstens aber mit Duldung Pekings erfolgt. Inzwischen sind in Äquatorialguinea andere an der Macht, aber während seiner Amtszeit spendierten ihm die Chinesen sein Raumfahrtprogramm. Sagt Ihnen der Name Zheng was?«
»Die Zheng-Group? Natürlich!«
»Zheng hat damals große Teile der Technologie zur Verfügung gestellt, Know-how und Hardware geliefert. Der Satellit war allerdings nur ein Vorwand, um von Mayés Staatsgebiet aus etwas anderes in den Orbit zu schießen. Etwas, das keine offizielle Stelle passiert hätte.«
»Und was?«
»Eine Bombe. Eine koreanische Atombombe.«
Julian versteinerte. Er ahnte, fürchtete zu ahnen, worauf dieser Jericho hinauswollte. Irritiert sah er zu, wie sich die anderen auf dem Pfad verteilten und gestikulierten.
»Die Koreaner?«, echote er. »Was zum Teufel habe ich mit –«
»Nicht die Koreaner, Mr. Orley, sondern das, was Kim Jong-uns stillgelegte Geisterbahn hinterlassen hat. Die Rede ist von der Schwarzmarkt-Mafia. Anders gesagt, China oder jemand, der China vorschiebt, hat eine handliche, kleine Atomwaffe aus koreanischen Beständen gekauft, eine sogenannte Mini-Nuke. Wir sind sicher, dass diese Bombe den Satelliten im selben Moment verlassen hat, als er seinen Orbit bezog, also bereits vor einem Jahr, um von dort mit unbekanntem Ziel weiterzureisen. – Und unserer Meinung nach liegt dieses Ziel nicht auf der Erde.«
»Moment mal.« Nicht auf der Erde. »Sie meinen –«
»Wir meinen, sie ist dazu bestimmt, eine ihrer Weltraumeinrichtungen zu zerstören, ja. Wahrscheinlich das Gaia. Das Mondhotel.«
»Und was bringt Sie zu dieser Vermutung?«, hörte Julian sich mit bemerkenswert ruhiger Stimme fragen.
»Der Zeitverzug. Natürlich gibt es etliche Varianten. Nur erklärt keine so recht, warum das Ding seit einem Jahr oben ist, ohne gezündet worden zu sein. Es sei denn, etwas wäre dazwischengekommen.« Jericho machte eine elend lange Pause. »Sollte das Gaia nicht ursprünglich schon 2024 eröffnet werden? Was aber aufgrund der Mondkrise verschoben wurde?«
Julian schwieg, während sich in seinem Schädel etwas langsam, aber unaufhaltsam in Bewegung setzte. Der Filmvorführer schlurfte herbei, legte die Rolle ein und –
»Carl«, flüsterte er.
»Wie bitte?«, fragte Jericho.
»Vorgestern Morgen«, rief Julian. »Meine Güte! Ich hab's gesehen und nicht begriffen. Carl Hanna, einer unserer Gäste. Ich bin ihm im Korridor begegnet, er sagte, er habe den Ausgang gesucht und nicht gefunden, aber er hat uns verarscht! Er war draußen.«
»Julian.« Dana Lawrence hatte sich dazugeschaltet. »Ich fürchte, da irren Sie sich. Sie kennen die Aufnahmen. Carl ist definitiv nicht rausgegangen.«
»Doch, Dana. Doch! Und ich Idiot hab's sogar gesehen. Schon unten im Korridor, ohne es zu kapieren. Jemand hat die Aufzeichnungen gefälscht, das Material neu zusammengeschnitten. Er betritt die Gangway zum Lunar Express –«
»Und kommt nach wenigen
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