Limit
offenen Gefährts und ließ den Blick schweifen. Bemüht, sich keiner Überdosis an Konversation auszusetzen, war er am zweiten Abend ins Multimediazentrum des Gaia entwichen, noch vor dem Dessert, und hatte sich einen Film über die Peary-Basis angesehen. So wusste er, dass sie sich über zehn Quadratkilometer erstreckte und alleine der Flugplatz die dreifache Größe eines Football-Feldes umfasste. Die siloartigen Türme am Westrand waren zurückgelassene Raumschiffe der Mannschaften, die den Nordpol als Erste betreten hatten. Ursprünglich zu Wohneinheiten umfunktioniert, dienten sie nun als Notunterkünfte, überragt von der Konstruktion eines im Bau befindlichen Teleskops, während die Kuppeln im Zentrum, Iglu 1 und 2, das Herzstück bildeten. Beide waren als zusammenlegbare Strukturen zum Pol geschafft, dort zu Wohnhausgröße aufgeblasen und mit einer mehrere Meter dicken Schicht Regolith bedeckt worden, um die Insassen gegen Sonnenstürme und Meteoriten zu schützen. In die Wände hatte man Schleusen geschnitten, den Untergrund ringsum planiert, Fahrzeuge und Gerät in Hangars untergebracht, jenen halbierten Röhren, die Omura in gewohnt defätistischer Weise als Plunder bezeichnet hatte und bei denen es sich tatsächlich um ausgebrannte Treibstofftanks aus der Space-Shuttle-Ära handelte.
Mit den Jahren war die Station gewachsen, hatte sich um Straßen, Anbauten und einen ausgedehnten Tagebau erweitert. In der Ferne, vor der Kulisse automatisierter Fabriken, in denen Regolith prozessiert und zu Bauelementen weiterverarbeitet wurde, ragten die Gerüste riesiger, offener Montageanlagen empor. Auf Schienen fuhren Manipulatoren an den Leibern werdender Fördermaschinen entlang, schweißten, nieteten und passten Teile ein, während humanoide Roboter feinmechanische Arbeiten vornahmen. Seilbahnen und Gleise verbanden die Fabriken mit den Werften, Material wurde in Gondeln und Loren herangeschafft. Wohin man sah, legten Maschinen Geschäftigkeit an den Tag, Unbelebtheit in belebtester Form.
O'Keefe schaute nach Osten, während der Bus dem zwei Kilometer weit ausgelagerten Flugplatz entgegenstrebte. Felder von Sonnenkollektoren, die Paneele zur wandernden, nie untergehenden Sonne gerichtet, bedeckten flaches, geschwungenes Hügelland. Das Kratergestein war durchzogen von Lavakanälen. Dank ihrer verfügte die Peary-Basis über ein weitverzweigtes System natürlicher Katakomben, deren größter Teil noch gar nicht erforscht war. Nur ein einziges Merkmal verriet, was der Untergrund barg, eine Spalte, mehr eine Schlucht. Auf ganzer Breite klaffte sie im Hochplateau, spreizte sich nach Westen und mündete in ein steil abfallendes Tal, dessen Grund nie ein Sonnenstrahl erhellte. Brücken überspannten diese augenscheinliche Hinterlassenschaft eines schweren Bebens, bei der es sich tatsächlich um einen eingebrochenen Lavakanal handelte, durch den vor Jahrmilliarden Ströme flüssigen Gesteins geflossen waren. Einige der Höhlenstränge mündeten, wie O'Keefe aus der Dokumentation wusste, in die Schlucht, und er fragte sich, ob der Untergrund der Basis von dort zugänglich war.
Sie durchfuhren das Tor in der Abschirmung des Flugfelds. Ringsum herrschte mäßiges Treiben. Einer der heuschreckenartigen Gabelstapler korrespondierte lautlos mit einem Manipulator, dessen segmentierter Arm sich wie zu einem letzten Lebewohl in ihre Richtung erhob, um regungslos zu verharren. Soweit erkennbar, lagen die Gleise auf der Bahnhofsempore verlassen da. Im harten, schräg einfallenden Licht wand sich die vereinsamte Trasse ins Tal. Der Aktivität der Maschinen haftete etwas Rituelles an, man konnte auch sagen, postapokalyptisch Sinnfreies, ein Bild von eigenartiger Selbstgenügsamkeit.
Was würden sie vorfinden am Aristarchus? Plötzlich überkam ihn der Wunsch, einschlafen und in der Zeitlosigkeit eines nicht allzu gut beleumundeten Dubliner Pubs aufwachen zu dürfen, dessen Gästen die akkurate Trennung von Schaum zu schwarzem Bier mehr galt als alle Wunder der Milchstraße zusammengenommen, und die über der Erinnerung an vermeintlich bessere Zeiten leise seufzten, wenn sie ihre Gläser an die Lippen setzten.
LONDON, GROSSBRITANNIEN
Die Nacht schlich dahin.
Yoyo rief Chen Hongbing an, Tu erörterte mit DAO IT, dem eben noch bitterbösen, verabscheuungswürdigen Konkurrenten, die Möglichkeiten eines Joint Ventures, Jericho fielen die Augen zu. 300 Meter über London hatte sich sein Hirn in einen Sumpf verwandelt, in
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