Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
kam zu ihm herüber, verschränkte die Arme auf der Tischplatte und legte das Kinn in die Ellenbeuge. »Ihre Stimme ist zugegebenermaßen sehr schön«, sagte sie. »Wenn sie jetzt noch entsprechend aussähe –«
    Der Bildschirm füllte sich mit Darstellungen.
    »Möchtest du eine Zusammenfassung hören, Owen?«
    »Ja, bitte, Diane.«
    »Die Grafik zeigt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine Hydra, auch Lemäisches Reptil genannt. Ein schlangenähnliches Monstrum aus der griechischen Mythologie mit neun Köpfen, das in den Sümpfen von Argolis hauste, Raubzüge in die Umgebung unternahm, Vieh und Menschen tötete und Ernten vernichtete. Obwohl der mittlere Kopf der Hydra unsterblich war, wurde sie von Herakles besiegt, einem Sohn des Zeus. Möchtest du mehr über Herakles hören?«
    »Erzähl mir, wie Herakles die Hydra besiegte.«
    »Das besondere Merkmal der Schlange war, dass ihr für jeden abgeschlagenen Kopf zwei neue Köpfe nachwuchsen, sodass sie im Verlauf des Kampfes immer gefährlicher wurde. Erst als Herakles mithilfe seines Neffen Iolaos begann, die Halsstümpfe auszubrennen, konnten sich keine neuen Köpfe mehr bilden. Schließlich gelang es Herakles, der Hydra auch das unsterbliche Haupt abzuschlagen. Er zerstückelte ihren Leib und tauchte seine Pfeile in ihr Blut, die fortan unheilbare Wunden schlugen. Möchtest du weitere Einzelheiten hören?«
    »Danke, Diane, im Moment nicht.«
    »Ein griechisches Ungeheuer«, sagte Yoyo mit runden Augen. »In der Darstellung sieht es eher asiatisch aus.«
    »Eine Organisation mit vielen Köpfen.«
    »Die nachwachsen, wenn man sie abschlägt.«
    »Chinesische Verschwörer, die ein Wesen aus der griechischen Mythologie zu ihrem Symbol machen?«
    Yoyo starrte auf den Monitor, Diane hatte rund zwei Dutzend Darstellungen der Hydra ausgesucht, Fundstücke aus zwei Jahrtausenden in unterschiedlichsten Darstellungen, die allesamt einen schuppigen Schlangenleib mit neun züngelnden Häuptern zeigten.
    »Nie im Leben«, sagte sie.
     

PEARY-BASIS, NÖRDLICHER POL, MOND
     
    Ein wenig fühlten sie sich wie die Überlebenden eines Trecks weißer Siedler, die es mit knapper Not ins rettende Fort geschafft hatten, auch wenn nirgendwo das Äquivalent von Indianern zu sehen war. Doch im Moment, da die Kallisto über dem Raumhafen der Basis niederging, hatte sich O'Keefe das Bild einer am Pol stationierten Kavallerie aufgedrängt, eines Trupps Reiter, der zu ihrem Schutz über das Hochplateau herangeprescht käme, Hüte und blitzende Epauletten, Fanfaren, Schüsse in die Luft, Parolen der Vertrautheit: – Wohlauf, Sergeant? – Aye, Sir! 'n Höllenritt. Dachten schon, wir schaffen's nie. – Ich sehe Sie ohne die Donoghues. – Tot, Sir. – Verdammt! Und das Personal? – Tot, Sir, alle tot. – Bei Gott! Und Winter? – Nicht geschafft, Sir. Haben auch Hsu verloren. – Schrecklich! – Ja, Sir. Entsetzlich. –
    Wie eigenartig. Selbst etwas so Exotisches wie Raumfahrt schien nur in der Kultivierung irdischer Mythen zu funktionieren, einfach, indem man Kletterhaken des Gewohnten ins Fremdartige trieb. Was geeignet war, den Geist zu erweitern, wurde miefiger Vertrautheit unterworfen und in schmale Assoziationsspektren gezwängt. Vielleicht konnten Menschen nicht anders. Vielleicht half ihnen die Banalisierung des Außergewöhnlichen, nicht an ihrer eigenen Banalität zugrunde zu gehen, und sei es, dass ihr Unterbewusstsein den Western bemühte, jenes Genre, dessen Aufgabe jahrzehntelang darin bestanden hatte, die aus den Fugen geratene Welt wieder in Ordnung zu bringen, unter Zuhilfenahme scharfer Munition und grandioser Landschaften. – Viel Schlimmes passiert, Sergeant. – Aye, Sir. – So viele gestorben. – Aye. – Aber schauen Sie sich das Land an, Sergeant! Ist es nicht jedes Opfer wert? – Will's nicht missen, Sir! – Großartiges Land! Dafür schlägt unser Herz, fließt unser Blut. Wir mögen sterben, das Land bleibt. – Ich liebe dieses Land! – Bei Gott, ich auch! Reiten wir! –
    Von wegen.
    Im Moment, da Hedegaard die Kallisto am Pol aufgesetzt hatte, waren aller Augen auf die Charon gerichtet gewesen. Am südlichen Ende des Flugfelds, umflankt von Raumschiffen der Basis, ruhte das Landemodul wie eine kleine, uneinnehmbare Burg auf seinen Stelzenbeinen, und O'Keefe hatte sich ihrer ersten Sprünge und Schritte erinnert, erfüllt von conquistadorischer Eroberungslaune, nicht ahnend, dass sie schon wenige Tage darauf dezimiert und demoralisiert

Weitere Kostenlose Bücher