Limit
Brunello di Montalcino, letztlich aber wohl der Erfahrung, so gut wie erschossen worden zu sein. Die daraus resultierende emotionale Verkaterung brachte es mit sich, dass sie auf dem Heimflug nicht viel redete. Um die Mittagszeit hatte Tu die Aerion Supersonic gestartet, vier Stunden später war der Jet auf dem Pudong Airport gelandet, und sie waren wieder zu Hause gewesen. Natürlich gab es in den darauffolgenden Tagen kein Entkommen vor der Berichterstattung. Nachdem die Charon in die Einflusszone irdischen Funks gelangt war, hatte man Messungen bestätigt gefunden, wonach es im Niemandsland des lunaren Nordpols zu einer nuklearen Explosion gekommen war und der Ausflug der Reisegruppe in einem Desaster geendet hatte, mit teils prominenten Toten. Und obschon die Geheimdienste den Mantel des Schweigens über die Vorfälle zu breiten versuchten, sickerten Gerüchte über eine Verschwörung durch, deren Ziel es gewesen sei, die amerikanische Mondbasis zu zerstören, mit China als möglichem Urheber – eine völlig unreflektierte, gleichwohl freudig durchs Netz summende Information.
Fallwinde des Misstrauens bliesen antichinesisches Gedankengut in alle Welt. Tatsächlich gab es nicht den geringsten konkreten Hinweis auf die wirklichen Drahtzieher. Orley selbst hatte den Verdächtigungen noch auf dem Rückweg zur OSS den Stachel genommen, indem er verkündete, nur mit Hilfe des Taikonauten Jia Keqiang und der chinesischen Raumfahrtbehörde habe der Anschlag überhaupt verhindert werden können. Ungeachtet dessen bemühten britische, amerikanische und chinesische Medien das Vokabular der Aggression. Nicht zum ersten Mal habe China Attacken auf ausländische Netzwerke gefahren, und dass Peking Kim Jong-uns militärisches Erbe verwalte, sei ja schon Schulwissen. Mahnende Stimmen, die raumfahrenden Nationen sollten endlich an einem Strang ziehen, mischten sich mit Befürchtungen über die Aufrüstung des Alls. Zheng Pang-Wang geriet in Erklärungsnot, als Details über die Rolle der Zheng Group beim Bau der äquatorialguineischen Rampe laut wurden. Vorauseilend erklärte der Zhong Chan Er Bu, weder wisse man von einem Kenny Xin noch einer Einrichtung namens Yü Shen, die ihre Rekruten angeblich aus Hirnkliniken, Psychiatrien und Haftanstalten beziehe und zu Killern ausbilde. Falls dieser Xin aber existiere, handele er eindeutig gegen die Interessen der Partei. Und worüber sich Herr Orley und die Amerikaner eigentlich wunderten, die der Welt wichtige Technologien vorenthielten und die Völkergemeinschaft durch fortgesetzte Verletzungen des Mond- und Weltraumvertrags vor den Kopf stießen. All dies klang so vertraut nach der Diktion der Mondkrise, dass seriöse Überlegungen wie die, was den Chinesen die Zerstörung der Peary-Basis eigentlich nütze (nichts nämlich, so das Fazit besonnener Analytiker), in den Hintergrund rückte.
Stehleuchte und Teppich. Partout wollte sich keine Harmonie einstellen zwischen den beiden.
Obschon ihre Wohngemeinschaft sich nach Grand Cherokee Wangs Ableben um ein nutzbares Zimmer erweitert hatte, war Yoyo zu Tu gezogen. Vorübergehend, wie sie betonte. Möglicherweise wollte sie Hongbing zur Seite stehen, der bis zur Wiederherstellung seines Appartements ebenfalls in der Villa logierte, eher vermutete Jericho jedoch, dass sie sich von der durchlässig gewordenen Stimmung der letzten Tage das Kondensat einer Lebensbeichte erhoffte. Sie bereitete sich darauf vor, ihr Studium wieder aufzunehmen. Daxiong schraubte in Missachtung ärztlicher Ratschläge an seinen Bikes, als klaffe nicht ein frisch genähter Riss in seinem Rücken und ein noch größerer in seinem Herzen, Tu widmete sich dem Dampflokrhythmus seiner Geschäfte, und auf Jericho warteten wohltuend langweilige Fälle von Webspionage. Nachdem die blutig gehütete Operation Berge des ewigen Lichts ihr unrühmliches Ende gefunden hatte, waren sie übereingekommen, von Hydra drohe ihnen keine Gefahr mehr. Noch standen Befragungen durch die chinesische Polizei an, der sie nicht auf die Nase zu binden gedachten, unter welchen Umständen Yoyo auf das Nachrichtenfragment gestoßen war, zumal die Staatssicherheit allen Grund hatte, ihnen dankbar zu sein: Was eignete sich schließlich besser, Peking von den grassierenden Vorwürfen zu entlasten, als dass der Anschlag durch das beherzte Wirken zweier Chinesen und eines in China lebenden Engländers vereitelt worden war? Unspektakulär hatten sich die ersten drei Junitage davongemacht, und
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