Limit
Gespräch, ich schätze, du weißt schon, worüber –«
Solche Äußerungen hatten immer etwas von rohen Eiern.
»Und?«, fragte er vorsichtig.
»Schon gut, Owen, wir können offen darüber reden. Du kannst mir nichts mehr verraten, was ich inzwischen nicht selber weiß. Was soll ich sagen? Ich bin froh, dass er es mir erzählt hat.«
So wie sie es sagte, klang es seltsam lapidar. Ein Leben lang hatte sie unter Hongbings Schweigen gelitten, und jetzt fiel ihr nichts anderes ein, als dass sie froh war über seine plötzliche Mitteilsamkeit.
»He!«, rief sie unvermittelt. »Ist dir eigentlich klar, dass wir diese Anschläge verhindert haben? Ohne uns gäbe es keine Mondbasis mehr und auch keine OSS.«
Ein deutscher Sender. Dieselben verwackelten Bilder von Orley und seiner Reisegruppe geisterten über die Holowand. Ein Journalist mit einem Mikrofon in der Hand und dem Pazifik im Hintergrund wollte gehört haben, die Bombe sei an Bord eines Raumschiffs explodiert, eines Mondshuttles, und möglicherweise habe es entgegen ersten Meldungen doch Opfer gegeben, wenigstens eines.
»Überleg mal, das hätte die amerikanische Raumfahrt um Jahrzehnte zurückgeworfen«, konstatierte sie. »Oder? Was meinst du? Kein Weltraumfahrstuhl mehr, kein Helium-3. Orley hätte seine Fusionsreaktoren einmotten können.«
»Sieht beinahe so aus, als wären wir Helden«, sagte er säuerlich.
»Na ja. Wir können ja mal ganz behutsam damit anfangen, stolz auf uns zu sein, oder? Was hast du heute Abend noch vor?«
»Möbel rücken. Schlafen.« Jericho warf einen Blick auf die Uhr. Halb elf. »Hoffentlich. Seit drei Tagen bin ich todmüde und kann nicht einschlafen. Immer erst gegen Morgen für zwei, drei Stunden.«
»Geht mir genauso. Nimm eine Tablette.«
»Keine Lust.«
»Selber schuld. Bis später.«
Danach sah er sich außerstande, weiter in Kategorien konfuzianischer Raumgestaltung zu denken. Allem um ihn herum schien der Sinn abhandengekommen zu sein, jede und zugleich keine Konstellation seines Mobiliars war vorstellbar. Eine gläserne Wand hatte sich zwischen ihn und die Dinge geschoben, Harmonie und Normalität entrückten ins Akademische, als referiere ein Blinder über Farben. Er schaltete den Fernseher aus und fand seine Kiefer zu einem löwenartigen Gähnen geweitet, das nicht enden wollte, dazu Schopenhauer, Held seiner Jugend: Das Gähnen gehört zu den Reflexbewegungen. Ich vermute, dass seine entferntere Ursache eine durch Langeweile, Geistesträgheit oder Schläfrigkeit herbeigeführte momentane Depotenzierung des Gehirns ist.
War ihm langweilig? Erschlaffte sein Geist? War er depotenziert? Nichts davon. Er war beunruhigend wach, legte sich angezogen auf die Couch, löschte das Licht und schloss probehalber die Augen. Vielleicht, wenn er auf offizielle Handlungen wie ausziehen oder Zubettgehen verzichtete, würden sich Körper und Geist überlisten lassen, da sie dem Schlaf ja offensichtlich umso mehr entgegenarbeiteten, je eindeutiger er sich darum bemühte.
Eine weitere halbe Stunde später wusste er es besser.
Es war nicht vorbei. Die Hydra hielt ihn unverändert umschlungen, ihr Gift würde in ihm wüten, bis er endlich Klarheit über ihre Natur erlangt hatte. Er konnte nicht so tun, als ginge ihn das alles nichts mehr an, nur weil gerade niemand versuchte, ihn umzubringen. Man konnte Normalität nicht beschließen, nichts endete, was man in der Vergangenheit verscharrte. Der Albtraum dauerte an.
Wer war Hydra?
Er fuhr die Beleuchtung wieder hoch. Yoyo hatte recht. Sie hatten ungeheuer vieles herausgefunden, die Pläne der Verschwörer vereitelt, Grund, stolz zu sein. Zugleich kam es ihm so vor, als hätten sie die ganze Zeit über verkehrt herum in ein Fernrohr geschaut. Das Naheliegende war in weiteste Ferne entrückt, in die vermeintliche Bedeutungslosigkeit, doch tatsächlich musste man das Rohr nur umdrehen und die Wahrheit würde sich in den Vordergrund schieben. Er öffnete eine Flasche Shiraz, goss sich ein und strich systematisch alle bisherigen Verdächtigen von der Liste, Peking, Zheng Pang-Wang, die CIA. Alle diese Spuren hatten bei näherer Betrachtung in sich selbst zurückgeführt, doch womöglich verlief eine geradeaus, mit der sie sich bislang noch nicht hinreichend befasst hatten.
Das Greenwatch-Massaker.
Die komplette Führungsriege des Umweltsenders, ausgelöscht. Warum? Niemand vermochte zu sagen, woran Greenwatch zuletzt gearbeitet hatte, auch wenn mehrfach von einer Reportage
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