Limonow (German Edition)
eines natürlichen Todes gestorben, begraben gewesen waren, und dass zweitens die Schlächter der Securitate alles andere als einen selbstmörderischen Völkermord verübten, sondern sehr viel klüger zu Kadern der Front zur nationalen Rettung konvertiert waren, der Partei des neuen Präsidenten Ion Iliescu. Die Kommunistische Partei, die für verboten und aller Verbrechen für schuldig erklärt worden war, hatte lediglich den Namen und den Führer gewechselt, aber sie gedieh prächtig weiter, und die Wahlen im März 1990, die ihr eine breite Mehrheit einbrachten, begründeten den grausamen Ausspruch, demzufolge die Rumänen als einziges Volk in der Geschichte in freien Wahlen die Kommunisten gewählt hatten. All das machte mich so stutzig, dass ich im Frühjahr nach Rumänien fuhr, um eine Reportage über diese Vorgänge zu machen.
Freud hat den Begriff des Unheimlichen geprägt, den man im Französischen als »beunruhigende Fremdartigkeit« übersetzt, und er bezeichnet eine Empfindung, die man im Traum und zuweilen auch in der Realität haben kann: Was man vor sich hat und was vertraut erscheint, ist einem im Grunde äußerst befremdlich. Alien , würde man im Englischen sagen. Das nachrevolutionäre Rumänien wirkte auf mich wie ein wahres Disneyland des Unheimlichen . Eine twilight zone , die beunruhigenden Gerüchten zufolge wie ein Gruyère von einem Netz unterirdischer Tunnel durchzogen war, die der Sicherheitsdienst gegraben hatte und in denen Leute verschwanden. Eine Zone der ewigen, heimtückischen Dämmerung, in der man den Hund nicht mehr vom Wolf zu unterscheiden vermochte, und doch schienen die Zehntausenden von in Bukarest herumirrenden Hunden, die sich mit Zehntausenden von ebenso herumirrenden Kindern ums Essen schlugen, immernoch weniger furchterregend als die Wölfe, in die sich alle für ihre Nächsten verwandelt hatten. Hass, Argwohn und Verleumdungen hinderten am Atmen wie ein Giftgas. Unter vielen anderen Beispielen erinnere ich mich an einen Schriftsteller, der zwanzig Jahre lang mit Preisen und offiziellen Ämtern überhäuft worden war und mir mit seinem »inneren Widerstand« gegen das schurkische Regime auf die Nerven ging; und als ich ihn fragte – natürlich ohne den ersten Stein auf ihn werfen zu wollen und in bestem Wissen um die Quasi-Unmöglichkeit einer solchen Haltung –, ob andere nicht etwas weniger innerlich Widerstand geleistet hätten und er mir ein paar Namen nennen könne (ich dachte an Oppositionelle mit unbeflecktem Ruf, hiesige Pendants zu Sacharow), schaute er mich sehr ernst an und antwortete dann, er wolle sie aus Diskretion und Barmherzigkeit lieber nicht nennen – denn er wusste sehr gut, dass die Securitate ihre dienstfertigsten Informanten genau unter diesen vermeintlichen Oppositionellen fand. Gut. Der erste Schritt ins Labyrinth der hintersinnigen Behauptungen war getan. Der zweite, der die Dinge spannend macht, ergab, dass all jene feinsinnigen Geister, denen ich von dieser Antwort erzählte, bestätigten, mein Gesprächspartner habe natürlich recht gehabt. Keinem war das neu, alle wussten davon, es war allgemein bekannt.
Der Moment ist gekommen, um über die feinsinnigen Geister zu sprechen. In Rumänien habe ich sie kennengelernt, sie erblühten auf den Trümmern des Kommunismus. Als Diplomaten, Journalisten und Beobachter, die in diesem Land seit langem fest im Sattel ihrer Ämter sitzen, haben sie es sich zur Spezialität gemacht, systematisch das exakte Gegenteil von offiziellen Reden, Medienklischees und konformistischen Vorstellungen zu verteidigen. Als eingeschworene Feinde des »politisch Korrekten« begeistern sie sich an Behauptungen wie: Der KGB oder die Securitate, die von Naivlingen als Brutstätten der Finsternis und des Todes denunziert würden, seien in Wirklichkeit nichts anderes als Pendants zu unserer Elitehochschule für Verwaltung ENA gewesen, oder: Das wissenschaftliche Werk von Elena Ceauşescu, das ihr die Ehrendoktorwürde an sämtlichen Universitäten des Landes bescher t hatte, sei gar nicht so schlecht, wie man gemeinhin behaupte, und genausowenig die Gedichte von Radovan Karadžić, der in diesem Buch bald seinen Auftritt haben wird. Die feinsinnigen Geister fanden das Vertrauen unseres Präsidenten Mitterrand, sie drückten seiner Außenpolitik ihren Stempel auf, und Rumänien, wo alles doppeldeutig, manipuliert und perfide war und wo Massengräber, die das empörte Mitleid des Westens erregten, in Wirklichkeit finstere
Weitere Kostenlose Bücher