Limonow (German Edition)
eines seiner Bücher nach Belgrad eingeladen, und während einer Signierstunde erhält er Besuch von Männern in Uniform, die ihn fragen, was er von der Serbischen Republik Slawonien wisse. Ehrlich gesagt nicht sehr viel. Es handelt sich um eine von Serben bevölkerte Enklave an der östlichen Spitze Kroatiens, erläutert man ihm. Diese Serben, die den Kroaten in ihrer Sezession nicht folgen wollen, haben selbst die Unabhängigkeit erklärt; die Kroaten sind damit jedoch nicht einverstanden, also herrscht Krieg, und eine Schlüsselstellung in diesem Krieg, Vukovar, ist gerade gefallen: Ob es ihn interessiere, sich das anzusehen?
Eduard hatte andere Pläne: Was in seinem eigenen Land vor sich geht, interessiert ihn mehr als diese Fehden von Bauern auf dem Balkan; aber er denkt auch, dass er mit beinahe fünfzig Jahren noch nie im Krieg gewesen ist und dies eine Erfahrung sei, die ein Mann eines Tages machen müsse, also sagt er zu. In der Nacht kann er vor Aufregung nicht schlafen. Am Morgen kommen ihn zwei Offiziere in seinem Hotel abholen. Man fährt auf die Autobahn, welche Belgrad, die Hauptstadt Serbiens, mit der kroatischen Hauptstadt Zagreb verbindet. Diese Autobahn, die seit dem Beginn der Feindseligkeiten von Touristenfahrzeugen leergefegt ist, ist dafür nun von Straßensperren und Checkpoints gesäumt. Während einige Soldaten die Papiere der Reisenden kontrollieren, legen andere mit ihren Gewehren auf sie an, und ihr Argwohn nimmt zu, als man feststellt, dass Eduard, obwohl er Russe und also mutmaßlich pro-serbisch ist, einen französischen Pass hat, und das heißt katholisch und vermutlich pro-kroatisch. Die Dinge kommen durch einige gern gehörte Schimpftiraden über Tudjman und Genscher wieder ins Lot, den deutschen Außenminister, der sich bei seinen europäischen Kollegen für die Anerkennung eines unabhängigen Kroatiens eingesetzt hat und in Belgrad inzwischen als Theoretiker eines Vierten Reichs gilt. Man verspricht sich, den einen an den Gedärmen des anderen aufzuhängen, trinkt ein Gläschen, um dieses Versprechen zu besiegeln, dann fahren sie weiter.
Ein Detail in der Version der Geschichte, die man ihm serviert, müsste Eduard stutzig machen: Alle Soldaten, die man für die serbische Sache gewonnen hat, tragen die Uniform der Jugoslawischen Volksarmee, die noch immer existiert und der es theoretisch verboten ist, an diesem Konflikt mitzuwirken; aber in der Praxis ist sie in überwältigender Mehrheit mit Serben besetzt und als solche hat sie Vukovar und alle benachbarten kroatischen Stellungen gerade gewissenhaft unter Dauerbeschuss genommen. Dieses Detail nimmt dem Vergleich des Schicksals der Serben mit dem der Juden während des Zweiten Weltkriegs, den ich skizziert habe und den der mit der Begleitung Eduards betraute Offizier bereitwillig ausarbeitet, die Glaubwürdigkeit – oder stand vielleicht den Juden die beständige Unterstützung der Wehrmacht zur Verfügung, um sich gegen die Nazis zu verteidigen? Aber all das ist Eduard egal. Ihm gefallen die bewaffneten Soldaten, die Panzerwagen, die Sandsäcke, die graugrünen Uniformen, die sich vom Schnee abheben und das Krachen von Granatwerfern, das man in der Ferne zu hören beginnt. Bald schon fahren sie durch Dörfer, deren Ruinen noch rauchen. Man könnte meinen, man befinde sich im Jahr 1941 in diesem eisigen Winkel des Balkans, nicht 1991. Das ist der Krieg, der echte, der, den sein Vater nicht mitgemacht hat, und er ist dabei.
Vukovar war zwei Tage zuvor von den serbischen Truppen befreit worden. Was man um ihn herum völlig ironiefrei »Befreiung« nennt, ist die totale Zerstörung, aber auch das macht Eduard nicht stutzig. Auch Berlin lag in Trümmern, als die Rote Armee es befreite, und in kleinerer Ausgabe erinnert diese ehemals hübsche habsburgische Stadt an das Berlin von 1945. Als er später nach Belgrad zurückkehrt, fragt ihn ein Schriftsteller, dem er von seinen Eskapaden erzählt, naiv, in welchem Hotel er abgestiegen sei, und Eduard, der nun ermisst, was einen Zivilistentypen wie seinen Gesprächspartner von einem Mann unterscheidet, der wie er den Krieg aus der Nähe erlebt hat, verzichtet darauf, ihm zu erklären, dass es in Vukovar keine Hotels mehr gibt und auch nur sehr wenige Häuser, die noch aufrecht stehen, und unter diesen keines, das in einem bewohnbaren Zustand ist. Vukovar ist eine einzige Brache voll Schutt, verbogenem Schrott und zerstoßenem Glas, die Bulldozer wegzuräumen beginnen. Wegen der Minen
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