Limonow (German Edition)
wütender, monotoner Stimme die beiden Alten beschuldigt, in rauschhaftem Luxus gelebt, Kinder verhungern lassen und in Temeswar einen Völkermord angestiftet zu haben, ist nicht zu sehen. Nach jeder Salve von Anklagen bittet der Staatsanwalt die beiden zu antworten, und während der Mann mit den Händen seine Tschapka walkt, entgegnet er, er erkenne die Legitimität dieses Tribunals nicht an. Für kurze Momente ereifert sich seine Frau und beginnt zu argumentieren, und um sie zu beruhigen legt er mit einer vertraulichen, berührenden Geste seine Hand auf die ihre. Ab und zu schaut er auf die Uhr, woraus man schloss, dass er auf das Eintreffen von Truppen wartete, die sie befreien würden. Aber diese Truppen kommen nicht, und nach einer halben Stunde gibt es einen Schnitt. Eine Aussparung. Die nächste Einstellung zeigt ihre beiden blutverschmierten Körper auf dem Pflaster irgendeiner Straße oder eines Hofs liegen.
Die Szene hat die Merkwürdigkeit eines Alptraums. Die Aufnahme des rumänischen Fernsehens wurde am Abend des 26. Dezember 1989 in den französischen Sendern ausgestrahlt. Ich schaute sie sprachlos an, bevor ich zum Silvesterfeiern nach Prag fuhr, und Limonow sah sie bei seiner Rückkehr aus Moskau. Er hatte Natascha wiedergefunden und zurückgebracht, und sie war sanft und liebenswürdig, wie immer nach ihrem Verschwinden. Vielleicht dachte er an ihre Ehe und an seinen Traum, an Nataschas Seite alt zu werden und zu sterben, jedenfalls bin ich mir sicher, dass er an seine Eltern dachte, als er unmittelbar nach der Sendung jenen Artikel schrieb, dem ich folgende Zeilen entnehme: »Das Video, das den Mord am Chef des rumänischen Staates rechtfertigen soll, ist das eklatante und entsetzliche Zeugnis der Liebe eines alten Paars, einer Liebe, die in getauschten Blicken und Händehalten ihren Ausdruck findet. Sicher waren er und sie schuldig. Einem Leader einer Nation ist es unmöglich, das nicht zu sein. Auch der unschuldigste Staatschef hat zwangsläufig schon einmal ein infames Dekret unterschrieben oder diesen oder jenen nicht begnadigt, so will es der Beruf des Leaders. Aber derart gehetzt, in die Ecke eines anonymen Raums gedrängt, übermüdet und darauf bedacht, einander angesichts des drohenden Todes beizustehen, haben sie uns, ohne dafür geprobt zu haben, eine Vorstellung gegeben, die den Tragödien von Aischylos und Sophokles ebenbürtig ist. Indem Elena und Nicolae Ceauşescu schlicht und würdevoll gemeinsam auf die Ewigkeit zuruderten, haben sie sich in den Kreis der unsterblichen Liebespaare der Weltgeschichte eingereiht.«
Ich hätte die Dinge nicht mit soviel Poesie formuliert, und ich halte dieses Paar von ubuesken Tyrannen auch nicht nur der Fehler für schuldig, die für einen Machthaber unvermeidlich sind. Dennoch erinnere ich mich, ebenfalls ein schmerzliches Unbehagen verspürt zu haben angesichts dieser Parodie von Gerichtsbarkeit, dieser standrechtlichen Exekution und dieser Inszenierung, die als exemplarisch gelten wollte, aber ihr Ziel vollkommen verfehlte, denn in der Tat hielt sich die Würde auf Seiten der Beschuldigten, so kriminell diese auch gewesen sein mochten – und dasselbe empfand ich später noch einmal, als man Saddam Hussein aufstöberte und erhängte. Das zauberhafte Jahr, das in ganz Europa friedliche Revolutionen gezeitigt und Humanisten wie Václav Havel an die Macht gebracht hatte, klang auf einem unangenehmen Ton aus.
In den Folgemonaten kamen noch andere seltsame Signale aus Rumänien. Die Revolution, die die Ceauşescus ermordet hatte, forderte noch Tausende von Märtyrern, die in einem letzten Aufbäumen des untergehenden Regimes massakriert wurden. Besonders empörte man sich über Massengräber, die in Temeswar gefunden worden waren. 4000 Tote, so lautete die geschätzte Zahl der Opfer im Allgemeinen. 4630, präzisierte Libération . TF 1 wagte großzügig zu überbieten: 70000 seien es gewesen. Zur Stunde des Truthahns und der Gänseleber zeigten die Fernsehnachrichten knochendürre, erdverschmierte Kadaver in gestreiften Pyjamas, die man aus hastig gegrabenen Gruben gezogen haben wollte. Europa zitterte. Man überlegte, internationale Brigaden zu entsenden, um den Völkermord zu stoppen, den die in Bedrängnis geratenen Schlächter der Securitate, Ceauşescus Sicherheitsdienst, begingen. Dann stellte sich heraus, dass man erstens zumindest einige Dutzend der Kadaver nur für die Kameras auf dem Friedhof von Temeswar ausgegraben hatte, wo sie,
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