Limonow (German Edition)
verschlafene Typen einsammelt, die wie Bauern aussehen. Bei Sonnenaufgang verlässt er Belgrad. Während man Kaffee aus Thermoskannen und Sliwowitz aus der Flasche trinkt, fährt man den ganzen Tag lang auf mit Autowracks gesäumten Straßen durch niedergebrannte Dörfer. Man durchquert die karge, windige Herzegowina voller Felsenplateaus, in der viele Spaghetti-Western gedreht wurden und wo nichts als Steine, Schlangen und Ustachis wachsen, wie man sagt. Theoretisch weiß man, wann man sich auf serbischem, bosnischem oder kroatischem Territorium befindet. Doch vor Ort ist es komplizierter. Die Frontlinien laufen mitten durch Dörfer, und von einem Straßenabschnitt zum anderen wechseln Alphabet, Amtssprache, Währungssystem, Religion und der jeweilige nationale Fanatismus. Genauso schwer ist es zu sagen, ob die Sperren mit serbischen, kroatischen oder bosnischen Milizen besetzt sind, solange man nicht mit der Nase draufstößt, doch der Minibus passiert sie seltsamerweise alle ohne Unannehmlichkeiten. Ich sage seltsamerweise, denn Eduards Kompagnons, die als Bauern verkleidet sind, die zum nächsten Viehmarkt fahren, sind in Wirklichkeit Milizionäre von Arkan, die von einem Fronturlaub in Belgrad ins Gefecht zurückkehren, und der Kofferraum ist voller Waffen.
Nach etwa drei Viertel der Wegstrecke verkündet das Radio eine beunruhigende Neuigkeit: In der Nacht hat es in der Republik Serbische Krajina eine Art Staatsstreich gegeben, und der Verteidigungsminister, dem Arkan Eduard empfohlen hatte, scheint ins Gefängnis gesteckt worden zu sein. Bald tauchen frisch an Baumstämme geheftete Plakate auf, auf denen eine Belohnung auf Arkans Kopf ausgesetzt ist. Es ist wie in San Theodoros in Tim und Struppi : Man kann sich nie sicher sein, wer gerade in der Lage ist, wen erschießen zu lassen, Alcazar oder Tapioca. Eduard beginnt zu ahnen, und die Zukunft wird es bestätigen, dass Milošević – der von einem amerikanischen Diplomaten als »Mafiaboss, der des Drogenhandels in der Bronx überdrüssig ist und auf die Kasinos in Miami umsteigen will« beschrieben wird – seine Landkarten für die kommenden Verhandlungen neu sortiert. Unter einer Decke mit Tudjman, seinem besten Feind, bereitet er vor, die Krajina im Austausch gegen serbische Territorien in Bosnien und die Aufhebung des Embargos den Kroaten zu überlassen. In dieser neuen Spielphase wird ein Radikalist wie Arkan zum Störfaktor, man muss ihn loswerden, und es ist denkbar, dass sich das Dutzend von Haudegen, die im Minibus durchgerüttelt werden, auf eine Mausefalle zubewegt. Diese Annahme wäre logisch, aber die Logik auf dem Balkan ist seltsam. Es gibt Kurzschlüsse und Verzögerungen in der Nachrichtenübermittlung, und diese bewirken, dass Eduard, der in der Stadt von seinen Kompagnons verlassen wird und sich mit den Autoritäten selbst arrangieren muss, nicht besonders übel empfangen wird, dafür aber von Büro zu Büro weitergeschickt und schließlich einer österreichisch-ungarische Kaserne mitten in der Pampa zugewiesen wird.
Dort händigt man ihm eine Uniform aus – welchen Lagers ist nicht zu erkennen, so zusammengestückelt sind die einzelnen Teile –, man ernennt ihn zum Hauptmann und gibt ihm ein Zimmer für sich allein. Der Dienstgrad passt zum Zimmer: Sein voriger Be wohner war ebenfalls Hauptmann, er ist auf eine Mine getreten – der nachfolgende Bewohner ist auch Hauptmann, so sieht man besser durch. Am Morgen ergänzt man seine Ausrüstung um eine Kalaschnikow und einen Schutzengel: einen gries grämigen, brutalen, serbischen Offizier, der auf Kontrollbesuch bei einem seiner Untergebenen dessen Frau zu beleidigen und zu bedrohen beginnt, weil diese Kroatin ist. Eduard ist schockiert, aber man sagt ihm, er müsse das verstehen, im letzten Jahr hätten Kroaten der gesamten Familie des Offiziers die Kehle durchgeschnitten. Einige Tage später schneidet der Untergebene seinerseits dem Offizier die Kehle durch.
Der Krieg steckt wirklich in einer Sackgasse fest. Niemand geht hin, niemand verlässt ihn, niemand versteht so richtig, wer gegen wen kämpft. Auf beiden Seiten gibt es hohe Verluste, und die serbischen Bauern sind umso misstrauischer, als sie sich von aller Welt verraten fühlen, nicht nur vom Westen, sondern selbst von ihrem Vaterland, das sich anschickt, sie preiszugeben – und tatsächlich existiert ein Jahr später die Republik Serbische Krajina nicht mehr, ihre Bewohner werden entweder tot oder im Gefängnis oder die
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