Limonow (German Edition)
Anfänge der Limonka und der Nationalbolschewistischen Partei wie ein mitreißendes Epos, dessen zweites Kapitel die Einrichtung eines verkommenen Kellers ist, in dem sie Zuflucht finden, nachdem man sie bei der Sowetskaja Rossija rausgeschmissen hat. Man krempelt die Är mel hoch (»man«, das ist das halbe Dutzend historischer Gründer außer Dugin, der sich wie immer damit zufrieden gibt, sie zu ermuntern und das Ergebnis zu inspizieren); man schleppt Berge von Schutt hinaus, rührt Gips an und stopft undichte Stellen. Doch was auch immer man anstellt, der Ort bleibt feucht und von Ratten bevölkert; dennoch wird die Partei bald einen Sitz haben, und man wird ihn den Bunker taufen.
Der Bunker , Margot Führer … An diesem Punkt bin ich mir nicht mehr sicher, ob mein Leser wirklich Lust hat, die Anfänge eines Käseblatts und einer neofaschistischen Partei als mitreißendes Epos erzählt zu bekommen. Und ich selbst bin mir dessen auch nicht mehr sicher.
Und doch ist es komplizierter, als man meint.
Es tut mir leid. Ich mag diesen Satz nicht. Und ich mag nicht, wie sich die feinsinnigen Geister seiner bedienen. Unglücklicherweise ist er oft wahr. Im vorliegenden Fall ist er es. Es ist komplizierter, als man meint.
2
Sachar Prilepin geht inzwischen auf die Vierzig zu. Er lebt mit seiner Frau und seinen Kindern in Nischni Nowgorod, wo er die Lokalausgabe der Nowaja Gaseta leitet, der unabhängigen Zeitung, für die Anna Politkowskaja schrieb. Als Autor von drei Romanen wechselt er gerade sowohl in seiner Heimat als auch im Ausland vom Status des jungen Hoffnungsträgers zu dem eines Autors von garantierter Bedeutung. Der erste dieser Romane handelte von Tschetschenien, wo er als Soldat diente, der zweite von den Zweifeln und Irrwegen eines jungen Provinzlers, der glaubt, seinem eingefahrenen Leben einen Sinn zu verleihen, indem er ein Nazbol wird, das heißt ein Aktivist der Nationalbolschewistischen Partei. Das Buch speist sich aus der Erfahrung des Autors und seiner Freunde gleichen Alters, denn Sachar Prilepin ist selbst seit fünfzehn Jahren ein überzeugter Nazbol . Dementsprechend ist seine Aufmachung: Er ist ein kräftiger Kerl mit Glatze, schwarzen Klamotten, Doc Martens an den Füßen, und zu alldem die Sanftheit in Person. Man sollte sich vorsehen, ich weiß, aber nach ein paar Stunden mit ihm bin ich bereit, mein Wort zu geben, dass Sachar Prilepin ein großartiger Typ ist: ehrlich, mutig, tolerant, einer, der dem Leben so direkt ins Gesicht schaut wie seinem Gegenüber, und zwar nicht, um Konfrontation zu suchen, sondern um etwas zu verstehen und, soweit es geht, zu mögen. Das Gegenteil eines faschistischen Tiers oder eines dekadenten Dandys, der die Stalin- oder Nazisymbolik sexy findet. In seinen Büchern, die ins Französische übersetzt sind und die ich wärmstens empfehle, erzählt er vom Alltag in der russischen Provinz, von Gelegenheitsjobs, Besäufnissen mit Freunden, den Brüsten der Frau, die er liebt, und von seiner Liebe zu seinen Kindern voll Sorge und entzücktem Staunen. Er spricht von der Grausamkeit der herrschenden Zeiten, aber auch von den Momenten purer Schönheit, die ein Tag bereithält, wenn man dafür empfänglich ist. Prilepin ist ein hervorragender Autor, der ernst und zärtlich schreibt, und man könnte ihn, um ihn einzuordnen, vielleicht in die Nähe des frühen Philippe Djian bringen – aber eines Philippe Djian, der im Krieg gewesen ist.
Denn Sachar Prilepin erzählt Folgendes.
Er war zwanzig und furchtbar angeödet in seiner kleinen Stadt in der Oblast Rjasan, als ihm einer seiner Freunde eine seltsame Zeitung zusteckte, die mit dem Zug aus Moskau gekommen war. Weder Sachar noch sein Freund hatten je etwas Vergleichbares gesehen. Niemand in Russland kannte L’Idiot international , Actuel oder Hara-Kiri , ebensowenig die amerikanische Underground -Presse – alles Einflüsse, die Eduard reklamiert –, und das knallige Layout, die dreckigen Zeichnungen und provokanten Titel mussten absolut verblüffen. Auch wenn es das Organ einer Partei war, ging es in der Limonka weniger um Politik als um Rock, Literatur und vor allem um Stil. Welchen Stil? Den fuck you -, bullshit - und Mittelfinger-Stil. Punk in Reinform.
Man muss sich einmal vor Augen führen, was das ist, eine russische Provinzstadt, sagt Sachar Prilepin. Das trostlose Leben, das Jugendliche dort führen, ihre Aussichtslosigkeit und die Verzweiflung, sofern einer nur ein bisschen Sensibilität und ein
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