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Limonow (German Edition)

Limonow (German Edition)

Titel: Limonow (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmanuel Carrère
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es nicht mehr aus und macht sich auf die Suche nach ihm. Meist findet sie ihn am Getränkestand im Zoo wieder, wettert vor aller Welt auf ihn ein und beschimpft ihn als kleinen Dreckskerl: molodoj negodjaj , so wird er auch seine Erinnerungen an diese Zeit betiteln. So sehr ihre Szenen ihn demütigen, so sehr amüsieren sie seine Freunde. Sie machen sich über den großen Arsch und die grauen Haare dieser Gebieterin und Geliebten lustig, die doppelt so schwer ist wie er und seine Mutter sein könnte. Um sein Gesicht zu wahren, deutet er etwas an wie er benutze sie und lasse sich von ihr aushalten. Einmal beteuert er sogar, sie ginge für ihn auf den Strich: Nach seiner Lebensauffassung ist man besser ein Anfänger im Zuhältergewerbe als ein netter kleiner Junge.
    9
    Wie Eduard selbst anmerkt, ist eine Chronik des Lebens in der Sowjetunion während der sechziger Jahre nicht vollständig ohne den KGB . Der westliche Leser zittert schon. Er denkt an den Gulag und an Internierungen in der Psychiatrie, doch auch wenn Eduard sich öfter auf der Polizeiwache wiederfand, als ihm lieb war, so war sein Kontakt mit den Organen von Charkow einfach nur grotesk. Die Sache war so.
    Ein Maler ihrer Clique, Bachtschanjan, genannt Bach, hat einen Franzosen auf der Durchreise kennengelernt, und dieser hat ihm eine Jeansjacke und ein paar alte Ausgaben von Paris Match vermacht. In der Zeit kurz nach Chruschtschows Sturz und der Machtübernahme durch die Troika Breschnew-Kossygin-Gromyko gilt dies als Delikt, und zwar als ziemlich schwerwiegendes. Jeglicher Kontakt mit Ausländern ist verboten, denn sie werden verdächtigt, in Form von Büchern, Schallplatten oder sogar Bekleidung den gefährlichen westlichen Virus einzuschleusen und gleichzeitig Texte von Dissidenten außer Landes zu bringen. Sobald Bach das Hotel des Franzosen verlässt – er hat die Jacke übergezogen und trägt die Paris Match -Hefte in einer Plastiktüte –, hat er das unangenehme Gefühl, verfolgt zu werden. Er macht bei Anna und Eduard Halt und vertraut ihnen seine Befürchtungen an. Sie haben gerade genug Zeit, um die Jacke und die Match -Hefte in einer Truhe zu verstecken, auf die Anna sich mit ihrem wohlgerundeten Hintern setzt, da klopft der Tschekist schon an die Tür.
    Eduard macht ihm auf und taxiert ihn kurz: ein Blond, das schon ins Grau übergeht, das Aussehen eines ehemaligen Sportlers, der sich hat gehen lassen und ohne Schwierigkeiten erahnen lässt, dass er eine gleichaltrige Frau und zwei, drei hässliche Kinder ohne Zukunftsaussichten hat, kurz: ein Kollege und Bruder des armen Wenjamin. Und er ist es auch, der angesichts der Bücher und Bilder wirkt, als sei es ihm peinlich, einfach so bei Künstlern hereinzuplatzen. Er vermutet, dass sie ein interessanteres Leben führen als er, und das könnte ihn boshaft machen, aber er ist kein boshafter Mensch. Er wühlt herum, weil das sein Beruf ist, und legt dabei keinen besonderen Eifer an den Tag; man könnte glauben, er zöge unverrichteter Dinge ab, er ist schon fast auf der Treppe, da bleibt sein Blick an Anna hängen, und es kommt ihm eine Idee. Anna hat sich während der ganzen Hausdurchsuchung nicht von der Truhe gerührt, auf der sie sitzt. Er fordert sie auf, sie zu öffnen. Eine Machtprobe. Zuerst weigert sie sich mit einem Pathos, als würde die Gestapo verlangen, ihr Partisanennetz preiszugeben, doch schließlich gibt sie nach. Das Geheimnis wird gelüftet und der Schatz konfisziert.
    Anna und Eduard kommen mit einer Verwarnung davon, Bach nimmt seinen Urteilsspruch von einem »Kollektiv von Genossen« aus der Fabrik »Der Kolben« entgegen. Die Genossen, die sich als Kunstkritiker produzieren, sind der Meinung, seine Bilder sähen aus, als könne auch ein Esel sie malen, dem man einen Pinsel an den Schwanz bindet; und um ihm etwas figurativere Wirklichkeiten in Erinnerung zu rufen, schicken sie ihn einen Monat lang zum Ausheben von Gruben auf eine Baustelle; allerdings kehrt er von dort zurück, ohne sich deshalb weiter Sorgen wegen seiner provinziellen und altmodischen Abstraktionen zu machen. Eduards Fazit lautet: Wenn die Behörden von Charkow ein bisschen fieser gewesen wären, hätte der rechtschaffene Maler Bachtschanjan weltberühmt werden können, so wie es gerade der rechtschaffene Dichter Brodsky wurde, der lediglich die Chance hatte, sich im richtigen Moment am richtigen Ort zu befinden, und so das große Los zog.
    Bleiben wir bei dieser Bemerkung und bei dem, was sie über

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