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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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Sie hatte sich nicht bewegt. Sie stand neben mir, die Hände voller Blätter und Scherben, mit einem Ausdruck im Gesicht, der mir sagte, daß sie das alles schon einmal gehört hatte.
    »Lincoln brauchte sofortige professionelle Hilfe«, sagte Richard, »und ich habe nicht vor, danebenzustehen und zu schweigen. Als Arzt habe ich die Pflicht…«
    »Ich glaube, Lincoln ist für Hilfe nicht mehr besonders ansprechbar, selbst wenn sie von einem Arzt kommen sollte«, erwiderte Broun.
    »Wir müssen gehen«, sagte Richard ärgerlich und knöpfte seinen Mantel zu.
    »Nun gut, selbst wenn Sie anderer Meinung sind, bin ich dennoch froh, daß Sie gekommen sind«, sagte Broun und legte seinen Arm um Richards Schulter. »Es tut mir nur leid, daß Sie nicht bleiben und noch etwas essen können. Dieses Krabben-Dingsbums ist wundervoll.« Er geleitete Richard in die Diele hinaus.
    Ich hielt den grauen Mantel und fragte mich, ob ich nicht in Wirklichkeit schlief und das alles träumte. Annie nahm den Mantel von meinem Arm, und ich half ihr hinein. »Wie hieß die Katze?« sagte ich. »In deinem Traum?«
    »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Es ist nicht meine Katze.« Sie schlug die Augen nieder, um sich den Mantel zuzuknöpfen, und dann sah sie wieder zu mir hoch. »Es ist nicht mein Traum«, sagte sie. »Ich weiß, du wirst mir nicht glauben, weil es Richard auch nicht tut. Er glaubt, ich steuerte auf eine psychotische Krise zu, und du glaubst wahrscheinlich auch, ich wäre verrückt, aber es ist nicht mein Traum. Ich träume ihn, aber er gehört jemand anderem.«
    »Ihr… Er holt den Wagen«, sagte Broun und ließ die Szenerie auf sich wirken.
    »Es tut mir leid wegen Ihrer afrikanischen Veilchen«, sagte Annie. »Ich habe mir eins angeschaut, und da…«
    »Macht nichts, macht nichts.« Er führte sie zur Tür und weiter nach draußen, wobei er die ganze Zeit über sprach. »Ich bin wirklich froh, daß Sie zu unserem Empfang kommen konnten.«
    Als er zurückkam, befand ich mich auf allen vieren vor dem Bücherschrank und suchte nach dem zweiten Band Freeman. »Ich hatte eben ein sehr eigentümliches Gespräch mit deinem Stubengenossen«, sagte er. Er setzte sich auf die Sofalehne und betrachtete den Haufen Erde und die Scherben. Er kratzte sich seinen schmuddeligen Bart, wobei er noch mehr wie ein Pferdehändler wirkte. »Er sagte mir, Lincolns Traum sei der symbolische Ausdruck eines tiefverwurzelten Traumas, das möglicherweise aus seiner Kindheit stammt.«
    Ich fand Der Graue Fuchs und schlug im Index unter ›Katzen‹ nach, und dann unter ›Lee, Tierliebe‹. »Was haben Sie denn von einem Psychiater anderes erwartet?« sagte ich und wünschte, er wäre zur Party zurückgegangen, damit ich herausfinden konnte, ob Lee eine Katze gehabt hatte.
    »Ich sagte ihm, das tiefverwurzelte Trauma sei möglicherweise der Bürgerkrieg gewesen, und daß es für ihn absolut normal gewesen wäre, im Weißen Haus von Mordanschlägen und Särgen zu träumen. Wußtest du, daß Willie im östlichen Zimmer aufgebahrt war?«
    »Hatte Robert E. Lee eine Katze?« sagte ich.
    Broun schaute mich an. »Lincoln hatte Katzen. Kätzchen. Er liebte Kätzchen.«
    »Lee, verdammt noch mal, nicht Lincoln. Als er in Arlington lebte, hatte er da eine Katze?«
    »Keine Ahnung«, sagte er in demselben beschwichtigenden Tonfall, den er auch Richard gegenüber gebraucht hatte. »Vielleicht steht bei Freeman etwas von einer Katze.«
    »Vielleicht, aber ich habe, verdammt noch mal, nicht die mindeste Ahnung, wo der Freeman steckt. Sie haben den ersten Band auf dem Speicher, den dritten unter Ihrem Bett, und den vierten verarbeiten Sie zu Mulch und nehmen ihn für Ihre Veilchen. Weiß der Kuckuck, wo der zweite ist. Wenn Sie eine Bibliothek hätten wie andere Leute auch, anstelle dieses gottverdammten verworrenen Durcheinanders…«
    »Dein Stubengenosse meinte«, fuhr Broun ungerührt fort, »all die halbbegrabenen Toten in dem Traum wären Ausdruck von Lincolns Todessehnsucht.«
    Ich blickte vom Buch auf. Er beobachtete mich mit seinen hellen kleinen Pferdehändleraugen. »Hast du irgendeine Vorstellung, was er damit meinte?«
    »Nein«, sagte ich, hob die verstreuten Bücher auf und begann sie ins Regal zurückzustellen. »Ich gehe jetzt ins Bett. Ich muß morgen nach Arlington raus.«
    Er stand auf und klopfte mir auf die Schulter. »Mach dir deswegen keine Sorgen«, sagte er. »Das hat Zeit. Du bist gerade eben von einer langen Reise zurückgekommen, und ich

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