Linda Lael Miller
Trista ...« Ihr Satz
verklang, als Jonathan hinter sich die Tür zufallen ließ. Ohne ein Wort zu sagen,
hatte er ihr erklärt, daß er weder die Zeit noch die Geduld hatte für ihre
vermeintlichen Wahnvorstellungen.
Er hatte
seine Tasche auf dem Schreibtisch zurückgelassen. Elisabeth öffnete sie und
wühlte so lange darin herum, bis sie endlich das Fläschchen mit den Penizillintabletten
gefunden hatte. Sie nahm den Deckel ab und zählte die Tabletten.
Zehn.
Sie
verschloß das Fläschchen und steckte es ein. Trista atmete schwer, als
Elisabeth in die Küche kam. »Laß sie mich über die Schwelle bringen, Jon«, bat Elisabeth
leise. »Es gibt Krankenhäuser und moderne Medikamente
...«
Er fixierte
sie finster. »Um Himmels willen, fang nicht wieder mit diesem Unsinn an!«
»Du mußt
die Autos auf der Straße gesehen haben. Es ist eine viel fortschrittlichere
Gesellschaft, Jonathan. Ich kann Trista helfen. Ich weiß, daß ich es kann.«
»Kein Wort
mehr«, warnte er.
Die
Hintertür öffnete sich, und Ellen kam abgehetzt und besorgt herein. Als ihr
Blick auf Trista fiel, wich die Farbe aus ihrem Gesicht. »Tut mir leid, ich
konnte nicht früher kommen, aber es ist die Grippe. Bei uns haben sie die auch,
und Seenie ist so heiß, daß man sie kaum anfassen kann.«
Jonathans
Blick wich Elisabeths aus. »Ich komme gleich.«
Ellen fuhr
mit ihm zu der Farm ihrer Familie.
Während des
Nachmittags feuerte Elisabeth den Herd mit voller Kraft und füllte immer wieder
Kessel und Töpfe mit Wasser, damit möglichst viel Feuchtigkeit verdunstete.
Das Kind bewegte sich nicht. Der Atem des Mädchens war ein angestrengtes
Rasseln, und die Haut war heiß wie ein Topfdeckel.
Elisabeth
kniete neben der Couch und hielt die Augen gegen die Tränen des Kummers und
der Hilflosigkeit fest geschlossen. Auch das gehörte dazu, eine viktorianische
Frau zu sein – zuzusehen, wie das geliebte Kind dem Tod entgegentrieb, weil es
keine Medikamente, keine richtigen Krankenhäuser gab. Nun begriff sie, daß
sie die Impfungen und den ganzen medizinischen Fortschritt ihrer Zeit für
selbstverständlich hingenommen und nie daran gedacht hatte, wie tödlich ein
einfacher Virus sein konnte.
Elisabeth
fühlte das Medizinfläschchen in ihrer Tasche, holte es hervor und drehte es
zwischen ihren Fingern. Sie hatte keine medizinischen Kenntnisse, aber sie wußte,
daß Penizillin seine Vor- und Nachteile hatte. Falls Trista dagegen allergisch
war, gab es keine Rettung. Andererseits würde sie wahrscheinlich die nächsten
achtundvierzig Stunden nicht überleben, wenn niemand eingriff.
Entschlossen
füllte Elisabeth ein Glas mit Wasser. »Trista!« sagte sie.
Die Augen
des Kindes öffneten sich, aber Trista schien sie nicht zu erkennen, sondern gab
nur einen erstickten Laut von sich. Auf dem Fläschchen waren zwei Tabletten
empfohlen, aber sie verabreichte Trista eine Tablette und fand hinterher, daß
der Schlaf des Kindes tiefer und erholsamer war, hatte jedoch zu große Angst,
um die Küche zu verlassen.
Sie saß an
Tristas Bett und hielt die Hand des kleinen Mädchens, als sich die Hinterür
öffnete und Jonathan sich hereinschleppte.
»Leichte
Fälle«, sagte er und bezog sich, wie sie hoffte, auf die Kinder in Ellens
großer Familie. »Wahrscheinlich werden sie durchkommen.« Er trat zu seiner
Tochter, nahm sein Stethoskop und furchte die Stirn, während er Tristas Lungen
und Herz abhörte.
Elisabeth
wagte nicht, ihm von dem Penizillin zu erzählen. »Du brauchst Ruhe und etwas zu
essen«, sagte sie.
Er lächelte
grimmig, als er das Stethoskop in die Tasche warf. »Das ist neu, daß sich
jemand um mich sorgt. Gefällt mir.«
Sie
schenkte ihm Kaffee ein und bereitete eine Mahlzeit aus Rühreiern und
Schinkenresten.
Sein Blick
hing an dem erhitzten Gesicht seiner Tochter. »Sie war den ganzen Tag keine
fünf Minuten aus meinen Gedanken«, sagte er seufzend. »Ich wollte sie nicht
verlassen, aber du warst hier. Dagegen die anderen ... Ihr Atem scheint
leichter zu gehen«, stellte er fest.
Elisabeth
sagte nichts, aber ihre Finger schlossen sich um das Fläschchen in ihrer
Tasche. Bald wollte sie Trista wieder eine Tablette geben, wenn Jonathan nicht
zusah..
Er war fast
zu müde zum Essen, gönnte sich aber kei ne Ruhe, sondern versorgte das Pferd.
Während er im Stall war, ließ Elisabeth das Kind eine Penizillintablette
schlucken. Zu diesem Zeitpunkt schmerzte bereits ihr eigener Körper vor
Müdigkeit, und sie wollte in einen Sessel
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