Linda Lael Miller
Ereignisse
zu bestimmen, obwohl sie beim besten Willen nicht verstehen konnte, wie ihre
eigene Situation in dieses Schema paßte.
Als sie in
der beruhigenden Stille der kleinen Kapelle saß, rann eine Träne über ihre
Wange. Mit jedem Tag schien ihre alte Existenz im modernen Seattle ferner und
ferner zu rücken und kam ihr immer mehr wie eine phantastische Geschichte vor,
die sie irgendwo gelesen hatte. Nur dieses Leben, hier und jetzt, war real und
wichtig, das einzige, das sie wirklich leben wollte, und doch schien der
Abgrund zwischen ihr und Gavin zu groß, um überbrückt zu werden. Es herrschten
nur dann Harmonie und Einverständnis zwischen ihnen, wenn sie sich liebten,
und das war schlicht und einfach nicht genug.
10. Kapitel
Gavin kehrte tatsächlich an jenem Abend
zum Dinner auf die Insel zurück. Später, in der Ungestörtheit ihres Zimmers,
liebte er Katherine, genau wie er versprochen hatte, und obwohl ihr Stolz es
von ihr verlangte, besaß sie nicht die Kraft, diesem Mann zu widerstehen.
Gavin
versetzte sie in andere Welten, nahm sie mit jeder neuen Eroberung auf
ungeahnte neue Höhenflüge mit und erstickte ihre lustvollen Schreie, damit
nicht das gesamte Haus erfuhr, was in ihrem Zimmer vor sich ging. In den kurzen
Intervallen zwischen ihren leidenschaftlichen Umarmungen küßte und liebkoste
er Katherine, bis von neuem ein solch fieberhaftes Verlangen sie beherrschte,
daß sie ihn stöhnend anflehte, sie zu lieben.
Als
Christopher zu weinen begann, stand Gavin auf, zündete eine Lampe an und
wechselte dem Kind die Windeln, bevor er es zu Katherine ins Bett brachte und
zuschaute, wie sie ihren Sohn stillte. Noch nie, weder in diesem noch
in jenem anderen Leben, hatte sie die wunderbaren Geheimnisse ihrer Weiblichkeit
je so sehr geschätzt wie heute.
Sie legte
Christopher in die Wiege zurück, als er müde und gesättigt war, und blieb noch
lange bei ihm stehen, um ihn in stiller Ehrfurcht zu betrachten. Sie hatte sich
nicht die Mühe gemacht, ihren Körper zu bedecken, und ihr langes Haar fiel ihr
offen und ungebändigt auf den nackten Rücken.
»Katherine.«
Sie wandte
sich um und sah, wie Gavin auf ihrer Seite des Betts das Laken zurückschlug.
Unfaßbarerweise begehrte er sie schon wieder.
Ohne das
geringste Zögern kehrte sie zu ihrem Mann zurück.
Sie
ist anders. Der Gedanke nagte unentwegt an
Gavin, als er an der Reling des Boots stand, das ihn nach Seattle
zurückbrachte. Vor ihrer Veränderung, die irgendwie mit Christophers Geburt
zusammenhing, hatte Kathy seine Umarmungen gemieden, mit der Begründung, er sei
zu groß, zu ungestüm, zu unersättlich ...
In der
Nacht zuvor hatte sie jedoch nicht genug von ihm bekommen können. Er hatte sie
geküßt, um die heiseren Schreie ihrer Lust zu ersticken. Einmal, als er sie
auf die Art genommen hatte, wie es zu Beginn der Menschheit üblich gewesen war,
hatte er ihr mit einer Hand den Mund verschlossen. Sie hatte einen seiner
Finger in den Mund genommen, und Gavin hatte die Augen geschlossen, um mit
einem letzten, ungestümen Stoß noch viel tiefer in sie einzudringen, und es war
niemand dagewesen, um seinen eigenen heiseren Triumphschrei zu ersticken.
Gavin
seufzte. Mrs. Hawkins behauptete, Katherine suche regelmäßig die Kapelle in dem
kleinen Wäldchen hinter dem Haus auf, was ihm ein weiteres Rätsel war. Denn die
Kathy, die er kannte, hatte keine andere Gottheit als ihr eigenes Ich gekannt.
Mariannes
Berichten zufolge verbrachte Katherine viele Stunden mit Maria auf der geschützten
Terrasse vor dem Garten und schrieb fleißig > Geschichten < auf. Das war
noch etwas, was Gavin sehr verblüffte: Die Frau, die er geheiratet hatte, wäre
nicht einmal auf den Gedanken gekommen, eine Wäscheliste anzufertigen, ganz zu
schweigen davon, Prosa zu verfassen.
Nervös
strich er sich durchs Haar. Katherine will mich glauben machen, daß sie sich
verändert hat, dachte er. Aber für ihn war es nichts weiter als ein geschickter
Plan, um sein Vertrauen wiederzugewinnen, damit Katherine an dem luxuriösen
Lebensstil festhalten konnte, der ihr so ungeheuer wichtig war.
Wie
ironisch das alles ist, dachte er. Kaum hatte er aufgehört, sie zu lieben, war
sie plötzlich alles, wofür er sie gehalten hatte, damals, in jenen Tagen vor
der Hochzeit. Gavin betrachtete diese Zeit jetzt als eine Art närrischer
Verzückung – er hatte sich von seinen eigenen Illusionen blenden lassen und
nicht die Absicht, diesen Fehler noch einmal zu begehen.
Die
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