Linda Lael Miller
schlief, und verspürte
den fieberhaften Wunsch, ihn vor allem Unheil zu beschützen. »Viele der
Krankheiten dieser Zeit wie Keuchhusten, Masern und Pocken, sind fast gänzlich
ausgerottet worden. Die Leute brauchen nicht mehr so hart zu arbeiten, und
alles geht viel schneller. Hier zum Beispiel braucht ein Brief zwei Wochen, um
das Land zu durchqueren, aber wo ich herkomme, gibt es eine Maschine, die Fax
genannt wird und Worte oder Bilder überallhin auf der Welt innerhalb einiger
weniger Sekunden übermitteln kann.«
Maria
starrte sie offenen Mundes an.
Wenn es
eins gab, was Katherine liebte, dann war es ein interessiertes Publikum.
»Es gibt
auch noch andere phantastische Maschinen – Flugzeuge zum Beispiel«, fuhr sie
ermutigt fort. »Sie sind wie riesige Metallschiffe, nur daß sie Flügel haben
und durch den Himmel fliegen, anstatt sich auf dem Wasser zu bewegen.
»Diesen Ort
möchte ich gern sehen!.«
Katherine
schüttelte den Kopf. »Das erscheint mir ziemlich ausgeschlossen«, sagte sie
sanft und legte eine Hand auf die Schulter ihrer Freundin. »Aber mach dir keine
Sorgen, ich habe genug Geschichten, die ich dir erzählen kann, bis wir beide
alte Frauen sind. Tatsächlich werden sich einige dieser Dinge bis dahin schon
verwirklicht haben.«
»Sie müssen
sie aufschreiben, all diese Dinge, an die Sie sich erinnern!«
Katherine
stimmte zu und konnte sich dabei ein Grinsen nicht verkneifen. Was für einen
Schock es den Historikern der modernen Zeit versetzen würde, wenn sie eines
Tages ihr verstaubtes Tagebuch aus dem Jahre 1895 öffneten und darin
detaillierte Beschreibungen von Faxgeräten, Computern, Flugzeugen und
Videokameras entdeckten!
»Und in
welcher Hinsicht ist diese Zeit hier besser als Ihre eigene?« wollte Maria
wissen.
»Ich weiß
nicht, ob > besser < das richtige Wort ist«, erwiderte Katherine
nachdenklich. »In diesem Zeitalter hier sind die Dinge ganz allgemein ein
bißchen simpler. Es gibt nicht soviel Streß in dieser Welt.« Lächelnd schaute
sie sich in ihrem eleganten Zimmer um. »Es ist ungemein romantisch, dieses
Leben, mit seinen Kutschfahrten, seinen prachtvollen Herrenhäusern und den
wunderschönen langen Kleidern, die rascheln, wenn man sich bewegt. Aber es ist
mir auch bewußt, daß die große Mehrheit der jetzigen Menschen diese Art von
Luxus vermutlich gar nicht kennt.«
Maria
runzelte die Stirn. »Tragen die Frauen in Ihrer Welt denn keine langen
Kleider?« Katherine lächelte.
»Nur zu
sehr eleganten Veranstaltungen oder so. Ich habe fast immer nur Jeans getragen
– Hosen.«
»Frauen
tragen Hosen?« Marias Stimme war ganz leise vor Fassungslosigkeit und
Staunen.
»Ja«,
bestätigte Katherine lächelnd. »Und sie besitzen auch das Recht zu wählen,
führen ihre eigenen Geschäfte und haben politische Ämter inne.«
Maria griff
sich mit beiden Händen an die Schläfen und schüttelte verwirrt den Kopf. »Ich
glaube, das ist alles ein bißchen zuviel auf einmal.«
Katherines
Zuneigung zu ihrer stillen, nüchternen und besonnenen Freundin wuchs. »Ja«,
pflichtete sie ihr freundlich bei. »Aber glaub nur nicht, Maria, daß ich aus
einer Art Paradies zu euch gekommen bin. Die menschliche Rasse hat noch einen
weiten Weg zu gehen.«
Noch immer
zutiefst verwundert, ging die Indianerin, und Katherine wusch sich, zog sich an
und bürstete ihr Haar. Dann, nachdem sie das Baby wieder Marias zuverlässiger
Obhut übergeben hatte, verließ sie das Haus und machte sich auf den Weg zum
Strand.
Katherine
redete sich ein, daß sie nicht auf der Suche nach Gavin war, aber als sie ihn
in der Ferne auf einem Felsen sitzen sah, schlug ihr Herz vor Freude
schneller. Rasch glättete
sie den Rock ihres bunten Kleids und strich über ihr Haar.
»Guten
Morgen«, rief sie, als sie nahe genug war, um von Gavin gehört zu werden. Mit
einer Hand beschattete sie ihre Augen vor der gleißenden Sonne, lächelte und
winkte, doch hinter ihrer gelassenen Fassade verbarg sich eine Frau, die wußte,
daß sie ihre Seele auf immer und ewig verpfändet hatte.
Gavins
Blick glitt über ihr Gesicht, ihren Körper und wieder zurück zu ihrem Gesicht.
Geschickt stieg er von seinem Felsbrocken herab und legte seine leichte Tweedjacke
um die Schultern. Es lag eine Distanz in seinem ganzen Verhalten, die sogar
noch beunruhigender war als die Feindseligkeit, die er sonst zur Schau gestellt
hatte.
»Habe ich
mich geirrt, als ich dachte, gestern nacht hätte sich zwischen uns etwas
geändert?« fragte
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