Linda Lael Miller
Fähre
lief in den Hafen ein, und Matrosen schrien einander Rufe zu, als sie das Boot
am Pier vertäuten und die Planke hinunterließen. Es war ein strahlend schöner
Tag, und anstatt vorauszueilen zum Krankenhaus und den Patienten, die ihn dort
erwarteten, schweiften Gavins Gedanken immer wieder zu der Insel ab, zu seiner
Frau. Sie hatte ihm mit verweinten Augen nachgesehen, ihr Kinn stolz und
trotzig vorgeschoben, und er wußte, daß das Bild ihm keine Ruhe lassen würde,
bis er sie wiedersah.
Die Tür
einer besonders eleganten Kutsche öffnete sich, als er vorbeiging, um sich eine
Mietkutsche zu suchen, und Caroline Raynes schaute heraus und strahlte ihn an.
»Gavin!«
Caroline,
die Nichte des sehr fortschrittlich denkenden Dr. Elliott Raynes, eines
Kollegen Gavins, war eine Schönheit mit blondem Haar und koketten braunen
Augen. Sie hatte sich Gavin bei mehr als einer Gelegenheit angeboten, als
verschenkte sie ihre Gunst genauso bedenkenlos wie Süßigkeiten oder exotische
Früchte.
Er hatte
immer vorgehabt, sich zu bedienen – ein andermal. Nun, so kurz nach einer
neuen Taufe in den Feuern körperlicher Wonnen, war Gavin sich seiner Verwundbarkeit
Katherine gegenüber nur allzu stark bewußt, und ihm war klar, daß er sich
bemühen mußte, das zu ändern.
So schnell
wie möglich.
Dr. Gavin
Winslow hatte nämlich endlich beschlossen, sich eine Mätresse zu nehmen – aber
nicht etwa, weil er mehr wollte oder brauchte als die unsägliche Lust, die
Katherine ihm in seinem eigenen Bett bereitete, sondern weil er Schutz vor den
Reizen seiner schönen Frau benötigte.
»Hallo,
Caroline«, sagte er und erwiderte ihr Lächeln.
»Auf dem
Weg ins Krankenhaus?« Carolines Stimme war schrill wie Kuhglocken, und Gavin
wunderte sich, daß ihm dies bisher nie aufgefallen war.
Er nickte,
und sie lud ihn ein, in ihrer Kutsche mitzufahren, genau, wie er erwartet
hatte. Als er ihr in dem eleganten, mit kostspieligem Leder ausgeschlagenen
Gefährt gegenübersaß, betrachtete er prüfend ihren schlanken Körper.
Katherine
ist etwas üppiger, dachte
er, vor allem, seit sie das Baby hat ... Aber er liebte es, die sanften
Rundungen ihres Körpers unter sich zu spüren wie ein duftendes, weiches
Federbett.
»Gavin?«
fragte Caroline schmollend, und Gavin zwang sich, ihr wieder seine
Aufmerksamkeit zu widmen.
»Ich
glaube, ich habe dich noch nie so schön gesehen«, sagte er.
»Ich
kehre in die Stadt
zurück«, verkündete Katherine, zwei Wochen nachdem Gavin die Insel verlassen
hatte. In all dieser Zeit hatte sie nicht einmal eine kurze Nachricht von ihm
erhalten, geschweige denn einen Besuch, und ihre
Phantasie spielte ihr alle möglichen furchtbaren Visionen vor.
»Gavin hat
noch nicht nach uns geschickt«, wandte Marianne ein, als sei damit die
Angelegenheit erledigt. Es war ein regnerischer Nachmittag, und die beiden
Frauen saßen auf der Terrasse, Marianne mit einer Stickarbeit und Katherine
schreibend.
Sie hatte
die Erinnerungen an ihr früheres Leben so schnell wie möglich aufgeschrieben,
und das war gut so, denn mit jedem Tag erinnerte sie sich an weniger Einzelheiten
dieses Orts hinter der Kristallbrücke. Über kurz oder lang, dachte sie, werde ich
ihn wahrscheinlich ganz vergessen haben.
»Natürlich
hat er nicht nach uns geschickt«, murmelte Katherine ärgerlich. »Weil er viel
zu beschäftigt mit seiner Mätresse ist!« In der Gesellschaftsspalte der
heutigen Ausgabe der Seattle Times war Gavin mit Caroline Raynes in
Verbindung gebracht worden, und Katherine litt, seit sie am Morgen den Artikel
gelesen hatte.
Marianne
schaute nicht einmal von ihrer Stickarbeit auf. »Alle Männer haben Mätressen,
Katherine«, meinte sie achselzuckend. »So ist das Leben nun einmal.«
»Mein Leben wird nicht so sein«,
entgegnete Katherine und erhob sich wütend. Ohne ein weiteres Wort zu ihrer
Schwägerin stürmte sie die Treppe hinauf, bereitete ihr Baby auf die Reise vor,
packte ihre eigenen Sachen und schickte dann den Butler nach der Kutsche.
Als die
Fähre an jenem Nachmittag ablegte, war Katherine an Bord, zusammen mit Maria
und Christopher. Es war an der Zeit, zu handeln; Katherine liebte ihren Mann
und war fest entschlossen, um ihn zu kämpfen.
Als sie das
stattliche Herrenhaus erreichte, traf sie sämtliche Dienstboten bei den
Vorbereitungen für eine umfangreiche Gartenparty an. Bunte chinesische Laternen
hingen von Drähten, die im Garten aufgespannt waren, und Papiergirlanden
schmückten Lauben und
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