Linda Lael Miller
obwohl Will eine Laterne brennen ließ, war
es immer noch sehr finster in der Höhle.
Das Herz
stieg ihr in die Kehle, als sie Will erblickte, wie er mit nacktem Oberkörper,
schweißbedeckt und mit bis zur Erschöpfung angespannten Muskeln die Hacke
schwang und sie wieder und wieder gegen die harte Steinwand prallen ließ. Eine
tiefe Verzweiflung lag in dem Geräusch, das sie erzeugte.
»Will«, sagte
Bess leise.
Er hielt
inne und ließ die Hacke sinken, wandte sich jedoch nicht zu Bess um, um sie
anzusehen.
»Fährst du
jetzt?« fragte er.
Bess
nickte. »Ja«, antwortete sie erstickt. »Ich habe den Ring deiner Mutter auf den
Tisch gelegt.« Wieder hielt sie inne und zwang sich, nicht zusammenzubrechen
und in Tränen auszubrechen. »Ich wäre dir niemals eine gute Frau gewesen, Will.
Ich bin dazu nicht stark oder tapfer genug, und du verdienst jemanden, der das
Leben genauso mühelos meistert, wie du selbst es tust.«
Will fuhr
sich mit einem Arm über das Gesicht und stützte sich mit der anderen Hand an
die Wand der Höhle. Seine Stimme klang ganz ungewöhnlich schroff. »Auf
Wiedersehen dann.«
Bess
versuchte, noch etwas zu sagen; es gab so vieles, was sie ihm gern noch
mitgeteilt hätte, aber sie brachte die Worte nicht über die Lippen. Ünd da sie
auch ihre Tränen nicht länger verdrängen konnte, wandte sie sich ab und hastete
davon, ohne die Zweige und Sträucher zu beachten, die
ihr Gesicht peitschten und sich in ihren Kleidern verfingen, als sie lief.
Mae und Tom
hatten sich bereits von Will verabschiedet, und Mae lag hinten auf dem Wagen,
als Bess sich zu ihr setzte. Maes neueste Tragödie hatte tiefe Wunden in ihr
hinterlassen; manchmal weinte sie still vor sich hin, wiegte ein unsichtbares
Baby in den Armen oder starrte ins Leere, als sehnte sie sich danach, an einen
besseren Ort heimgerufen zu werden.
An jenem
Tag jedoch schien Mae bei klarem Verstand zu sein.
Als Bess
aufgestiegen war, ging Tom um den Wagen herum nach vorn, stieg auf den Bock und
ließ die Zügel klatschen, um die Zugtiere in Bewegung zu setzen.
»Du bist
eine Närrin, Bess, einen Mann wie Will im Stich zu lassen«, sagte Mae von dem
schmalen Lager, das Bess vorher mit Kissen und Decken für sie hergerichtet
hatte. »Du kannst von hier bis China suchen, aber du wirst keinen besseren
finden als deinen Will.«
Bess fühlte
sich nicht in der Lage, sich mit vernünftigen Argumenten zu verteidigen, da
auch in ihren eigenen Emotionen noch immer wilder Aufruhr herrschte, aber eins
wußte sie: daß sie die Härten, die das Siedlerleben mit sich brachte, nie
ertragen würde. Wenn sie Will begraben müßte oder ein Kind, das sie zusammen in
die Welt gesetzt hatten, würde sie vor Kummer sterben.
»Ich weiß,
daß es keinen besseren gibt als Will«, antwortete sie mit leisem Vorwurf in
der Stimme, weil sie nicht begriff, wieso die sonst so stille, zurückhaltende
Mae ausgerechnet diesen Moment gewählt hatte, um ihre Meinung kundzutun. »Es
hat nie einen besseren gegeben und wird auch sicher niemals einen besseren
geben.«
Mae
schnaubte ärgerlich. »Was willst du denn jetzt tun? Heim rennen zu deinen
reichen Eltern in Philadelphia?«
Bess
schüttelte ärgerlich den Kopf. »Natürlich nicht. Ich könnte gar nicht dorthin
zurückkehren und dort leben – dazu habe ich mich viel zu sehr verändert. Aber
ich werde Papa schreiben und ihn um Geld bitten, und wenn er es mir schickt,
werde ich eine kleine Pension eröffnen, in Spokane, wo das Leben hoffentlich
schon ein bißchen zivilisierter ist.« Während sie sprach, stellte sie sich
vor, wie sie langsam zur alten Jungfer wurde; nie würde sie einen anderen Mann
heiraten, nachdem sie Will geliebt hatte, und deshalb sah ihre Zukunft sehr
einsam und düster aus. Aber einsam zu sein war immer noch besser, als am Grab
eines geliebten Menschen zu stehen und keinen anderen Wunsch zu kennen, als ihm
nachzufolgen.
»Ich glaube
trotzdem, daß du eine Närrin bist«, beharrte Mae. Ihre Stimme wurde leiser, sie
schien jetzt wieder einzuschlafen. Da Bess der anderen Frau einen Großteil
ihrer Kleidung geschenkt hatte, trug Mae nun ein bequemes, warmes Nachthemd aus
Flanell.
Das letzte
Mal war Bess mit Will diesen Weg gefahren, und das Holpern des Wagens über die
unebene Straße brachte eine Fülle von Erinnerungen zurück. Sie versuchte,
nicht an all das zu denken, was sie hinter sich zurückließ, und sich
ausschließlich auf die Zukunft zu konzentrieren, aber das war unmöglich.
Sie
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