Linda Lael Miller
unter dem abgetragenen blauen
Kattunkleid sichtbar zusammenzog.
Bess hatte
immer gedacht, Geburtswehen setzten ganz allmählich ein, aber bei Mae war es
ganz offensichtlich anders. Sie krümmte sich, stöhnend vor Qual, und wäre
vielleicht sogar gestürzt, wenn Bess nicht rasch zu ihr gelaufen wäre und sie gestützt
hätte.
»Kommen
Sie«, drängte sie sanft, aber entschieden, war Mae beim Aufstehen behilflich
und führte sie zum Bett.
Dort half
Bess der Frau aus ihren schäbigen Kleidern, die von einer blutigen Flüssigkeit
durchnäßt waren, und zog ihr eins der hübschen Baumwollnachthemden an, die sie
aus Philadelphia mitgebracht hatte.
Während Mae
sich schmerzgekrümmt auf der Matratze wand und qualvoll stöhnte, lief Bess zur
Tür und rief Will und Tom. Die beiden Männer waren gerade dabei, die Zugtiere
der Jessines am Bach anzupflocken, ließen aber auf Bess' Rufen hin alles stehen
und liegen und hasteten zum Haus zurück.
Tom, der in
seinem Leben bestimmt mehr gelitten hatte als jeder andere Mensch aus Bess'
Bekanntschaft, erwies sich als vollkommen nutzlos angesichts der Qualen seiner
Frau. Er murmelte etwas Unverständliches, wandte sich ab und stolperte
blindlings aus der Hütte.
Will, Gott
segne ihn, blieb bei Bess, biß die Zähne zusammen und krempelte seine Ärmel
auf, ohne Mae Jessine auch nur eine Sekunde lang aus den Augen zu lassen. »Ist
heißes Wasser da?« fragte er in ruhigem, beherrschtem Ton, und Bess konnte
nicht anders, als ihn für seine Willenskraft zu bewundern.
»Ich hole
welches«, sagte sie und hastete zum Herd.
Mae Jessine
begann zu schreien und krümmte ihren Rücken in einer grimmigen Parodie der
Lust, die Bess jede Nacht in diesem Bett erlebte, seit sie und Will ein Paar
geworden waren. Sie hatten zwar die Ehe nicht vollzogen, aber Will hörte nicht
auf, sie mit aufreizenden Zärtlichkeiten zu verwöhnen, und hatte seiner Frau
eine Seite von sich gezeigt, die sie nie zuvor an sich vermutet hatte.
Aber jetzt
war natürlich alles anders, auf tragische Weise anders. Bess lief zum Herd und
goß heißes Wasser aus dem Reservoir in eine saubere weiße Emailleschüssel,
zitterte jedoch so heftig, daß sie die Hälfte verschüttete.
Mae schrie,
und ein Strom frischen Bluts färbte ihr Nachthemd rot. »Irgend etwas ist nicht
mit ihr in Ordnung«, flüsterte Bess Will zu. »Du solltest lieber einen Arzt
holen.«
Er warf ihr
einen leidgeprüften Blick zu, aus dem auch leiser Ärger sprach. »Selbst ein
Blinder würde erkennen, daß hier etwas nicht in Ordnung ist, Bess. Ünd einen
Arzt gibt es
nicht zwischen hier und Spokane. Wir müssen es allein durchstehen, egal, was
kommt.«
Bess verlor
beinahe den Kopf vor lauter Panik. Ein Teil von ihr, auf den sie überhaupt
nicht stolz war, drängte sie, die Flucht zu ergreifen wie Tom Jessine. Ein
anderer Teil von ihr jedoch war sicher, daß sie stark genug war, um
durchzuhalten, ganz gleich, was auch geschehen mochte, solange nur Will an
ihrer Seite war.
Bess blieb,
aber Tränen der Angst rollten über ihre Wangen, und jedesmal, wenn Mae schrie,
durchfuhr es sie wie eine Lanze.
Der Rest
des Tags war höllisch, der Schmerz schien die arme Mae von innen zu zerreißen.
Dann, endlich, bei Einbruch der Abenddämmerung, glitt ein winziges, regloses
Wesen aus Maes gequältem Körper in Wills wartende Hände. Das Baby war tot, und
beim Anblick seines armen, bleichen kleinen Körpers zerbrach etwas in Bess, von
dem sie befürchtete, daß es nie wieder heilen würde.
Bis zu
diesem Augenblick hatte sie nie richtig gewußt, wie häßlich und ungerecht das
Leben sein konnte, vor allem an entlegenen Orten wie diesem hier, wo medizinische
Ünterstützung praktisch unerreichbar war.
Mae war
bewußtlos, aber sie lebte noch, obwohl sie Ünmengen von Blut verloren hatte,
und stieß ab und zu ein leises Wimmern aus. Der gnadenlose Schmerz oder
vielleicht auch das Wissen um ihren Verlust schienen ihr selbst im Schlaf keine
Ruhe zu lassen.
Wie eine
Frau in Trance wusch Bess das tote Kind behutsam und wickelte es in einen
Seidenschal, den sie einst zu Gesellschaften getragen hatte – in jener fernen
Welt, die sie so unbedacht und impulsiv verlassen hatte.
Während
jener Momente hätte sie alles gegeben, um wieder daheim in Philadelphia zu sein
und nichts zu wissen von all den furchtbaren Kümmernissen, die einen Menschen
befallen konnten.
Will war
hinausgegangen, um mit Tom zu sprechen, und Bess hörte den Verzweiflungsschrei
des unglücklichen
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