Linda Lael Miller
Perfektion des Tags hinaus.
Später an
jenem Nachmittag servierte sie die Weihnachtsgans, zusammen mit einer Reihe
anderer, sehr sorgfältig vorbereiteter Gerichte. Lucas kehrte aus seiner
Werkstatt zurück, aber er war während des Essens sehr schweigsam und vermied es
beharrlich, Rebecca anzusehen. Zum Glück waren Annabelle und Susan so mit
ihren eigenen Erlebnissen beschäftigt, daß sie den Schmerz und den Zorn der
beiden Erwachsenen gar nicht zu bemerken schienen.
Als die
Zeit kam, spannte Lucas die Pferde an, und zu viert machten sie sich auf den
Weg zu dem kleinen Gotteshaus in Cornucopia, nach außen hin ganz wie eine
glückliche Familie, die zur Krönung eines wunderschönen Tages zur
Weihnachtsmette aufbrach. Rebecca hatte Angst, daß sie nicht fähig sein würde,
ihr Solo zu singen, aber ihr fehlte auch die Kraft, die Aufgabe abzulehnen und
daheim zu bleiben.
Einspänner
und Wagen standen vor der festlich erleuchteten Kirche, und Musik und Gelächter
begrüßten Lucas, Rebecca und die Kinder, als sie dort eintrafen. Die Zwillinge
liefen sofort hinein, während Rebecca wartete, bis Lucas den Wagen gesichert
und die Pferde angebunden hatte.
Zusammen
betraten sie die Kirche und schafften es sogar, zu lächeln und die Grüße der
fröhlichen Gemeinde zu erwidern. Die bescheidene kleine Kirche war schön
geschmückt mit Tannenzweigen, und dies alles waren weitere Pfeile, die
Rebeccas wundes Herz durchbohrten.
10. Kapitel
Lucas saß in der letzten Reihe, während
Rebecca ihren Platz beim Chor im vorderen Teil der Kirche einnahm. Nach dem
tragischen Unfall in Chicago, der seinen Körper fast zerstört hatte, war Lucas
ganz sicher gewesen, daß ihm nichts Schlimmeres mehr geschehen konnte. Es war
sogar eine Art Erleichterung für ihn gewesen, es so zu sehen, als hätte er
damit seine Pflicht und Schuldigkeit getan, gewissermaßen.
Er war ein
Mann von schlichter Redlichkeit, und die Vorstellung, daß andere Männer mit
lüsternen Blicken Fotografien von Rebecca betrachteten, zerrte an seinem
Bewußtsein wie die Fänge eines wilden Tiers. Es war fast, als ob sie einen Teil
von sich verkauft hätte.
Lucas hatte
heute die Erfahrung gemacht, daß ein Herz – genau wie Knochen – gebrochen
werden konnte, und dieser neue Schmerz, dieses brennende Gefühl des
Verratenwordenseins, zerriß ihn innerlich.
Der Pfarrer
stand auf und stimmte ein Gebet an, bevor er ausgiebig über die Bedeutung des
Weihnachtsfestes sprach. Die Worte glitten durch Lucas hindurch, als besäße er
nicht mehr Substanz als eine Luftspiegelung, und keine Sekunde lang löste er
den Blick von Rebecca. Sie war schön, obwohl sie nicht so zerbrechlich wirkte
wie viele andere Frauen. Nein, Becky verfügte über eine praktischere Art von
Schönheit, stark und solide und voller Unternehmungsgeist und Mut.
Und Lügen,
ermahnte Lucas sich.
Ms sie an
der Reihe war, zu singen, trat sie vor den Chor, und ihre Hände zitterten ein
wenig, als sie die Partitur hob. Ihre Wangen glühten, und die ersten Worte
ihrer Hymne klangen noch sehr unsicher, doch dann beherrschte Rebecca ihre
Emotionen und ließ all die Musik aus sich herausströmen, die in ihr war.
Sie sang
wie ein Engel.
Das Bild
von ihr, wie sie für Jones' Kamera posierte, erschien vor Lucas' innerem Auge,
und am liebsten hätte er geweint vor Schmerz. Sie war so unerträglich schön –
und verdammt, sie gehörte ihm. Die Vorstellung, irgendein anderer Mann könne
ihre verborgene Schönheit sehen, war die reinste Qual für ihn.
Irgendwie
gelang es Lucas, den Rest des Abends zu überstehen. Als der Gottesdienst
vorüber war, unterhielt er sich mit einigen Mitgliedern der Gemeinde und
schaffte es sogar, etwas von dem Gebäck zu essen, das die Frauen mitgebracht
hatten.
Der Himmel
war klar, und der Nordstern glitzerte hell am dunklen Firmament, als es Zeit
war, in den Wagen zu steigen und heimzufahren. Erschöpft von den Aufregungen
dieses Tages, schliefen Annabelle und Susan bereits auf der Ladefläche ein, auf
weiches Heu gebettet und mit einer warmen Decke zugedeckt, die Rebecca von zu
Hause mitgebracht hatte. Rebecca saß steif neben Lucas auf dem Kutschbock, die
Hände im Schoß verschränkt, und hielt den Blick starr auf die Straße gerichtet,
die zur Farm zurückführte.
Dort
angekommen, weckte Lucas die beiden Mädchen, und er und Rebecca trugen sie ins
Haus. Es gab so vieles, was er Becky jetzt gern gesagt hätte, aber im
Augenblick konnte er sich nicht einmal dazu überwinden, sie
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