Linda Lael Miller
anzusehen, weil er
sich davor fürchtete, die Kontrolle über seine aufgewühlten Emotionen zu
verlieren, und wenn auch nur für eine Sekunde lang.
Eine
unerträgliche Unruhe beherrschte ihn, und als er Wagen und Pferde in die
Scheune brachte, mit der Absicht, sie für die Nacht zu versorgen, brach etwas
auf im tiefsten Winkel seines Herzens und bahnte sich einen Weg in sein
Bewußtsein. Für einen langen Moment richtete er den Blick zurück aufs Haus,
stellte sich ein Leben mit Rebecca vor und dachte an reiche Weizenernten, ein
Haus voller Kinder und all die Weihnachtsfeste, die noch vor ihnen lagen.
Lucas
spannte die Pferde gerade lange genug aus, um sie zu füttern und zu tränken.
Ohne ein Wort zu Rebecca, ohne auch nur ein stummes Wort an sich selbst zu
richten, nahm er das Wenige, das ihm von seinen Ersparnissen geblieben war, aus
dem Versteck in seiner Werkstatt und stieg von neuem auf den Kutschbock seines
Wagens.
Wieder
blieb er eine Zeitlang reglos sitzen, die Zügel in der Hand, und starrte zu dem
glitzernden silbernen Stern hinauf, der den ganzen Himmel auszufüllen schien.
Dann, mit einem winzigen Hoffnungsschimmer im Herzen, machte er sich auf den
Weg, dem Stern zu folgen.
Rebecca wischte den Dunst vom
Küchenfenster, um Lucas' Wagen nachzusehen, bis er in der finsteren Nacht
verschwand. Am liebsten wäre sie ihm nachgelaufen durch den tiefen Schnee und
durch die Kälte, um ihn zu bitten, zu verstehen und zu verzeihen. Doch sie tat
es nicht, weil sie wußte, daß es nie mehr so wie früher zwischen ihnen gewesen
wäre, selbst wenn er ihrem Flehen nachgegeben hätte und geblieben wäre.
Zu
verletzt, um zu weinen, wandte Rebecca sich vom Fenster ab, schürte das Feuer
im Ofen und nahm die einzige Lampe, die noch in der Küche brannte, bevor sie
durch das Haus zur Treppe ging. In dem Bett zu schlafen, das sie mit
Lucas geteilt hatte, wäre zu qualvoll für sie gewesen, und aus diesem Grund
ging sie zum Zimmer ihrer Zwillingsschwestern weiter.
Trotz ihrer
Trauer, die tiefer ging als alles andere, was sie je zuvor verspürt hatte,
lächelte Rebecca beim Anblick ihrer Schwestern, die beide tief und fest und
glücklich schliefen.
Rebecca
drehte den Docht der Lampe herunter, bis die Flamme erlosch, zog sich bis auf
Hemd und lange Unterhosen aus
und schlüpfte neben Susan unter die warme Decke. Dann, eine nach der anderen,
ließ sie die kostbaren Erinnerungen dieses Tages an sich vorüberziehen – all
jene Dinge, die geschehen waren, bevor sie Lucas die Fotografie gezeigt hatte.
Nie würde
sie das Lächeln vergessen, das in seinen Augen erschienen war, als er die
Freude der Zwillinge über das
Puppenhaus beobachtete, das er mit seinen eigenen Händen
für sie angefertigt hatte. Ganz gleich, was auch geschehen würde oder wohin sie
sich auch wenden mochte,
immer würde sie den Nähkasten bei sich haben. Warm immer sie den Deckel dieses
Kastens öffnete, würde Lucas' Bild daraus aufsteigen, zusammen mit dem Duft
nach Zedern.
Rebecca
erwachte schon früh am nächsten Morgen, in einem Haus, das kalt war von der
winterlichen Kälte und Lucas'
Abwesenheit. Sie ließ die Zwillinge schlafen und ging durch den Korridor zu
dem anderen Zimmer, das sie jedoch nur kurz betrat, um frische Kleider für
sich zu holen. Obwohl sie sich bemühte, nicht nach rechts und links zu schauen
und vor allem nicht daran zu denken, wie es war, umarmt und liebkost oder in
einen lustvollen Rausch versetzt zu werden, schienen selbst die Wände Lucas'
Duft und Persönlichkeit zu verströmen.
Rasch lief
sie nach unten, schürte das Feuer und legte ihren wollenen Umhang um die
Schultern, als sie hinausging, um das Federvieh zu füttern. Die Sonne glänzte
auf dem in der Nacht gefrorenen Schnee und schmückte die Landschaft
wie mit Diamanten, aber die Luft war so bitterkalt, daß Rebeccas Atem kleine
weiße Wolken bildete.
Nach dem
Frühstück wuschen die Zwillinge das Geschirr ab und stürmten dann hinaus, um
auf dem Westhang Schlitten zu fahren. Rebecca, die nichts Besseres mit sich
anzufangen wußte, ging ins Wohnzimmer, weil ihr kalt war ohne Feuer und ohne
die Freude des vergangenen Tages, und beschäftigte sich damit, die
Weihnachtsdekorationen zu entfernen und sorgsam in einer Schachtel zu
verwahren.
Sie dachte
nicht über die Zukunft nach, denn die war so düster, daß sie den Gedanken daran
nicht ertrug. Sie legte die Socken
weg, die die Zwillinge am Kaminsims aufgehängt hatten, und entfernte alles
andere, was an Weihnachten
Weitere Kostenlose Bücher