Linda Lael Miller
sich zu befreien.
Warum nur
hatte sie die Liebe zu diesem Mann in ihrem Herzen genährt und gehegt? Sie
blickte zu ihm auf.
Im Schein
der Fackeln auf dem Gang sah Kenbrook wie ein Wikinger aus. Er erscheint
unfaßbar groß, sein Körper strahlte Kraft und Hitze aus. Gloriana brauchte ihn
nicht zu berühren, um zu wissen, daß seine Muskeln sich so hart anfühlen würden
wie der Stein einer Statue. Kalt erwiderte er ihren Blick.
Eine Woge
völlig unziemlicher Wärme erfaßte sie.
»Werdet Ihr
in die große Halle zurückkehren?« Es war Kenbrook nicht anzusehen, was er
dachte, als er diese Frage stellte. »Nachdem Ihr Euer Haar verhüllt habt, meine
ich.«
»Nein,
Mylord«, erwiderte Gloriana und starrte vielsagend auf seine Hand, bis er sie
schließlich zurückzog. Er brauchte nicht zu wissen, daß er durch diese bloße
Berührung ihre Sinne entflammt hatte. »Ich finde die Gesellschaft sehr
ermüdend, und im übrigen denke ich gar nicht daran, mein Haar zu verhüllen.«
Einen
langen Moment schwieg Kenbrook sichtlich verblüfft. Befehlsverweigerung, ganz
gleich, in welcher Form, schien etwas Unverständliches für ihn zu sein. Oder
vielleicht war er auch einfach dumm.
Natürlich
wußte Gloriana, daß es nicht so war. Dane galt als kluger Mann, vor allem in
strategischen Dingen, aber sie war so wütend, daß sie sich für einen Moment
eine ganz bewußte Fehleinschätzung erlaubte.
Als er
sprach, klang seine Stimme ruhig, sogar freundlich, und Gloriana spürte, daß
Dane, obwohl er niemals Hand an eine Frau legen würde, eine Bedrohung für sie
darstellte, weil er imstande war, ihr auf tausend verschiedene Arten das Herz
zu brechen. Ihr Körper pochte von dunklen Sehnsüchten, die sie nicht benennen
konnte.
»Solange du
meine Frau bist, Gloriana«, sagte er, »wirst du mir gehorchen.«
Sie war
müde, und Kenbrooks Heimkehr, über die sie sich anfangs gefreut hatte, war zu
einer bitteren Enttäuschung für sie geworden. All ihre schönen Träume waren
dahingeschmolzen wie Schnee in der Frühlingssonne, und ihr Maß an
Selbstbeherrschung hatte sie bereits vorhin in der Halle erschöpft. »Wenn du
dich nicht an unser geheiligtes Gelübde gebunden fühlst«, erwiderte sie kühl,
»brauche ich es auch nicht.«
»Was willst
du damit sagen?«
»Ich
glaube, das weißt du.«
»Mariette.«
Dem Namen folgte ein schwerer Seufzer.
»Deine
Geliebte«, sagte Gloriana mit einer Spur von Triumph in ihrer Stimme. Was sie
wirklich empfand, war natürlich etwas völlig anderes.
»Mariette
ist nicht meine Geliebte«, fuhr Kenbrook auf und stemmte die Hände in die
Hüften. Der Schein der Fackeln brach sich in seinem Haar. »Ich versichere dir,
daß meine Verbindung zu der Demoiselle nicht tugendhafter sein könnte.«
Gloriana
drängte die Tränen zurück, die sich hinter ihren Augen sammelten und in ihrer
Kehle schmerzten. Sie würde es sich nie verzeihen, wenn sie vor diesem Mann
weinte. »Du hättest mir und unserer Ehe eine Chance geben können«, sagte sie,
»bevor du sie hierhergebracht hast, um meinen Platz einzunehmen.«
»Du
verstehst nicht ...«
»Ich
fürchte, doch«, fuhr Gloriana fort. »Und jetzt möchte ich mich in meine
Gemächer zurückziehen und ausruhen. Es war ein aufreibender Tag.«
»Ja«,
stimmte Kenbrook schließlich zu. »Du hast recht, das war er. Wir werden morgen
weiterreden.«
Gloriana
biß sich auf die Lippen und nickte. Es gab vieles, was sie ihrem Gatten sagen
wollte, Fragen, die sie ihm zu stellen hatte, aber dies war nicht der richtige
Moment dazu. Zuerst mußte sie sich ausruhen und ihre Gefühle unter Kontrolle
bringen.
»In Elainas
Solarium, nach der Messe«, erklärte er, und sie glaubte, eine leise Trauer in
seiner Stimme mitklingen zu hören. Lachen klang aus der großen Halle zu ihnen
heraus, und irgendwie klang es unangebracht und seltsam fremd.
Hadleigh
Castle war Glorianas Heim, seit sie zwölf Jahre alt gewesen war, und sie war
dort stets glücklich gewesen. Sie hatte nie bezweifelt – bis ihr Mann heimkehrte
–, daß ihr Platz zwischen diesen uralten, soliden Mauern war. Nun fragte sie
sich, ob es auf der Welt überhaupt einen Platz für sie gab, und sie dachte
voller Unruhe statt mit Vorfreude an die Zukunft.
Glorianas
Zofe, Judith, hatte bereits eine Talgkerze angezündet, obwohl es draußen noch
nicht ganz dunkel war, und auch die Bettdecken waren schon zurückgeschlagen.
Eine Schüssel frisches Wasser stand auf einem Tisch, darüber an der Wand hing
ein reich
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