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Lindenallee

Lindenallee

Titel: Lindenallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Rohde
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überhaupt nicht glauben, dass Menschen so etwas freiwillig studierten, denn in der Schule hatte sie in dem Fach gnadenlos versagt.
    „Ich dachte immer, Physikstudenten sind langweilige und ungepflegte Typen. Mike ist da ganz anders“, schwärmte Akay verträumt. „Aber glaube mir, ich lasse erst mal nichts Anbrennen. Außer Händchen halten und Küssen läuft nichts“, verkündete sie ernsthaft.
    Harald klopfte gegen die Glasscheibe und deutete Akay zurück an die Arbeit zu gehen.
    „Ich muss dann wieder.“
    Paula blickte ihr hinterher. Harald ließ eine Bemerkung fallen, die Akay achselzuckend zur Kenntnis nahm. Der Laden war brechend voll und verlangte nach kühlen Getränken.
    Paula sah Akay eine Weile zu, wie sie sich elegant zwischen den Tischen hindurchbewegte. Sie strahlte mehr als sonst und den Grund dafür kannte Paula. Sie selbst genoss es, still da zu sitzen und die Menschen zu beobachten. Ein beruhigendes Gefühl der inneren Ruhe stellte sich bei ihr ein. Ich habe ein tolles zu Hause gefunden, stellte sie glücklich fest, tolle Freunde und eine nette Kneipe zum Abhängen. Was will ich mehr?
    Sie nahm eine auf dem Tresen vergessene Tageszeitung und schlug sie auf. Es könnte lange dauern, bis Steffen den Weg zurückfand. Und das würde er, denn er war Mr. Perfect und äußerst zuverlässig.
    Sie gelangte bis zu den letzten Seiten der Zeitung und den Kinokritiken, als die Tür kraftvoll geöffnet wurde und die Druckwelle die Zeitung rascheln ließ.
    „Paula, du bist noch da!“ Die Erleichterung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er war außer Atem und ordnete sich flüchtig die zerzausten Haare.
    „Klar bin ich noch da. Wo sollte ich hin?“ Paula legte die Zeitung zusammen, während Akay ihm ein frisch gezapftes Bier vor die Nase stellte. „Dann lass es dir schmecken.“
    „Danke.“ Er nahm mehrere große Schlucke. „Das tut gut.“
    Paula ließ ihm Zeit anzukommen und beobachtete ihn aufmerksam.
    „Und ist alles gut gegangen?“, erkundigte sie sich.
    Er schüttelte traurig den Kopf. „Der Mann hatte seinen dritten Schlaganfall. Ich fürchte diesmal mit bleibenden Schäden. Seine Frau war schon vorher überfordert, wie es jetzt werden soll, weiß ich nicht.“ Er raufte sich bekümmert die Haare.
    So mitgenommen hatte Paula ihn noch nicht gesehen. „Du kennst sie schon recht lange, oder?“, fragte sie leise.
    „Sie waren bei meinem Vater in Behandlung und jetzt bei mir. Die Beiden sind weit über achtzig, klar kann man sagen, sie haben ihr Leben gelebt. Aber es tut weh zu sehen, wie einer von beiden wegstirbt.“ Seine Stimme klang brüchig und er ließ den Blick gesenkt.
    Paula berührte ihn sanft am Arm und er sah zu ihr auf.
    „Das muss furchtbar für dich sein. Wie schaffst du es, damit umzugehen?“ Paula stockte. „Ähm entschuldige, ich möchte dir nicht zu nahe treten. Das war vielleicht auch ein bisschen dumm von mir, so etwas zu sagen.“
    Er brachte ein schwaches Lächeln zu Stande. „Ist schon gut. Mir hilft es darüber zu reden. Das ist nicht dumm, so etwas zu sagen.“ Er straffte sich. „Ich sage mir immer, ich sollte nicht eine zu enge Bindung mit den Patienten eingehen, aber gerade die älteren kommen oft in die Praxis und da entsteht automatisch ein enger Kontakt. Ich kann die Menschen doch nicht wie eine Sache behandeln. Ich höre ihnen zu und habe ein mitfühlendes Wort für sie. Das kann nicht verkehrt sein, oder?“
    Paula schüttelte bedächtig den Kopf. „Nein, das kann nicht verkehrt sein, auf keinen Fall. Ich finde deine Einstellung gut. Hauptsache ist aber, dass du dabei nicht unter die Räder kommst. Wenn du unter der Last zusammenbrichst, ist niemandem damit geholfen, am allerwenigsten deinen Patienten.“
    Er ließ die Worte sacken und begriff ihr Anliegen. „Das mit dem Abschalten fällt mir manchmal echt schwer. Vor allem, wenn ich abends alleine zu Hause sitze und das Fernsehprogramm zum Heulen ist.“
    Erleichtert bemerkte Paula den ersten Ansatz von Ironie in seiner Stimme. Sie fühlte sich verunsichert, wie zerbrechlich er gewirkt hatte. Das war eine ganz neue Seite an ihm, mit der sie umzugehen lernen musste, denn sie hatte ihn für bärenstark gehalten. Warum eigentlich? Der Mann hat auch Gefühle und er gehört zu den Männern, die diese mitteilen konnten.
    „Jetzt hast du mich und brauchst nicht mehr heulend vorm Fernseher zu sitzen“, wandte Paula ein. „Wie wäre es denn, wenn wir am Wochenende gemeinsam etwas unternehmen? Nur damit du

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