Lindenallee
brach für die junge Magarete die Welt zusammen.
Magarete fuhr fort.
Wie hätte ich damals ahnen können, dass ihr Verschwinden mit ihrer Vergangenheit eng verwoben war! Friedrich hatte immer ein Geheimnis daraus gemacht und über seinen Vater wurde niemals gesprochen.
Nach dem Abend, als Heinz, Friedrich und ich uns das letzte Mal in der Lindenallee gesehen und über den Mord gesprochen hatten, geschah bei Friedrich zu Hause etwas mit großer Tragweite.
Er fand seine Mutter vor, die völlig die Fassung verloren hatte und in der Wohnung wie ein wildes, eingesperrtes Tier umherlief. Sie warf die nötigsten Sachen in die Koffer und achtete weder darauf, die Kleidungsstücke ordentlich zusammenzulegen, noch diese platzsparend im Koffer aufeinander zu schichten.
Es wurde ihm angst und bang die Panik im Gesicht seiner Mutter zu sehen und ihre fahrigen, schnellen Bewegungen zu beobachten.
„ Friedrich, da bist du ja endlich. Pack sofort zusammen. In zwei Stunden werden wir abgeholt.“
Die Panik übertrug sich auf Friedrich wie eine mitreißende Welle. „Aber Mutter, wir können doch nicht einfach weg von hier.“ Seine Gedanken wanderten zu mir. Er hatte sich von mir in der Gewissheit verabschiedet, mich den nächsten Tag wiederzusehen. „Ich kann nicht gehen, ich bleibe.“
Seine Mutter hielt abrupt in der Bewegung inne. Eindringlich sah sie ihn an. „Friedrich, das geht nicht. Wir sind in Gefahr. Wir müssen diese Nacht weg, morgen früh kann es schon zu spät sein. Bitte glaube mir.“ Sie schloss ihn in ihre Arme. Sie kämpfte mit den Tränen, aber sie musste stark sein, denn es gab keine Zeit zu verlieren.
„ Ich kann doch nicht gehen ohne Magarete Lebewohl zu sagen“, reagierte Friedrich tief betroffen. Im Gegensatz zu mir, hatte Friedrich seiner Mutter von unserer Liebe erzählt.
Friedrichs Mutter nahm ihn bei den Schultern und blickte ihn ernst an. „Du hast Zeit ihr eine Nachricht zu hinterlassen, aber ich kann nicht zulassen, dass du bei ihr vorbeigehst. Vielleicht sind sie schon hier und wir werden beobachtet.“
„ Wer?“ Friedrich war schockiert, mit welcher Heftigkeit seine Mutter reagierte.
Statt einer Antwort schüttelte sie nur mit dem Kopf, wandte sich ab und packte weiter. „Ich suche deine Sachen zusammen, während du Zeit hast, Magarete eine Nachricht zu schreiben. Versprich mir aber, dass du ihr die Nachricht nicht eigenhändig übergeben wirst, ja?“ Sie sah ihn unerbittlich an. Es fiel ihr schwer, so hart gegen ihren eigenen Sohn sein zu müssen.
Friedrich nickte widerstrebend. „Wohin gehen wir?“
„ Das weiß ich noch nicht, das erfahren wir später. Dein Vater wird es dir sagen.“
„ Vater?“ Friedrich stand aufgewühlt vor seiner Mutter. „Vater ist hier?“
„ Ja.“ Ein kurzes Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Er ist ganz in der Nähe, wir treffen ihn nachher und reisen gemeinsam weiter. Und jetzt mach dich auf den Weg, es wird immer später.“
In Friedrichs Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander. Sein Vater war hier, er hatte ihn seit über einem Jahr nicht mehr gesehen. Seine Eltern hatten ihm in einer endlosen Litanei eingebläut, niemals ein Sterbenswort über ihn zu verlieren. Er hatte sich daran gehalten, sogar mir gegenüber hat er nie etwas erwähnt. Dabei hätte er so gerne erzählt, wie er seinen Vater vermisste und nicht wusste, wie es ihm ging oder wo er gerade war.
Friedrich wurde sich der Dramatik bewusst, die sich abzuzeichnen begann. Er wusste nicht wohin sie gingen und was um Himmels Willen sollte er mir als Hinweis hinterlassen?
„ Geh jetzt“, ermahnte ihn seine Mutter erneut.
Friedrich steckte sich Papier, Stift, Nagel, Faden und sein Messer in die Taschen. Er verschwand in der dunklen Nacht, die nur schwach durch die Sichel des Mondes erleuchtet wurde. In ihm entbrannte ein entsetzlicher Kampf, dem Verbot seiner Mutter zu entgehen und zu mir zu eilen. Der Kampf war hart, aber letztendlich entschied er sich seiner Mutter zu gehorchen.
Er würde eine Möglichkeit finden, mir später eine Nachricht über seinen Aufenthaltsort zukommen zu lassen. So hoffte er, die überraschende Flucht wäre nur ein kurzes Zwischenspiel, welches sich schnell auflösen würde. Er sollte sich irren. Das wurde ihm erst Tage und Wochen später bewusst.
In der Nacht also ritzte er das Herz mit unseren Initialen in den Baum, schrieb die Zeilen auf das Blatt Papier und schlug es mit dem Nagel an. Den Rest der Geschichte hatte ich
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