Lindenallee
Magarete zwinkerte Paula zu.
„Ich weiß, man soll nicht Lügen, aber das hätte ich heute Morgen nicht ausgehalten."
„Es gibt eigentlich auch nicht viel zu erzählen. Wenn du mit der Hauswoche dran bist, hängt am Montag ein Kärtchen an deiner Tür. Da steht drauf, was alles zu tun ist. Außerdem wechselst du dich alle zwei Wochen mit der Treppenreinigung mit deiner Nachbarin ab. Da bist du erst nächste Woche dran. Gut.“ Magarete verspürte Kaffeedurst. „Ob er schon durch ist?" Fragend drehte sie sich in Richtung Küche.
Paula verstand den Wink mit dem Zaunpfahl, obwohl sie brennend gerne Fragen nach ihrer Nachbarin gegenüber gestellt hätte, die sie noch nicht kannte. Notgedrungen lief sie in die Küche, kam mit einem Tablett, Thermoskanne und zwei Tassen wieder. Milch und Zucker hatte sie dazugestellt, sowie einen zweiten Teller für den Kuchen. Paula zündete eine Kerze auf dem Tisch an, goss Kaffee ein und lehnte sich gespannt zurück.
Magarete nippte an ihrem Kaffee und aß ein Stück Kuchen. Sie spürte, wie Paula ungeduldig auf die Fortsetzung ihrer Geschichte wartete, ließ sich dennoch nicht aus der Ruhe bringen.
„Probiere doch erst mal meinen Kuchen, ehe du von meiner Geschichte so gefangen bist, dass du die Welt um dich herum vergisst", forderte Magarete sie amüsiert auf. Sie freute sich sehr, in Paula eine interessierte Zuhörerin gefunden zu haben.
Paula kostete den Kuchen. „Lecker." Mit Appetit nahm sie den nächsten Happen. „Köstlich."
Zufrieden nahm Magarete einen Schluck Kaffee, dann setzte sie die Tasse mit einem klirrenden Geräusch auf der Untertasse ab.
„Wo war ich stehengeblieben? Ach ja, Friedrich hat erzählt, es wäre eine Stelle als Pferdeknecht auf dem Rittergut frei. Über das Rangeln von Friedrich und Heinz habe ich wohl vergessen zu erwähnen, dass Heinz sich auf die Stelle bewerben sollte."
Paula ließ Magarete keine Sekunde aus den Augen und hing förmlich an ihren Lippen.
Als Heinz als Pferdeknecht auf dem Rittergut anfing, änderte sich das Leben auch für mich. Wir gingen nicht mehr gemeinsam zur Schule, denn nach der morgendlichen Arbeit auf dem Hof, lief er zum Rittergut. Zum Abendessen war er meist pünktlich wieder zu Hause. Seine Tage waren mit neuen Erlebnissen ausgefüllt, während ich jeden Tag den Alltagstrott alleine zu bewältigen hatte. Ich vermisste es, mit Heinz den Tag zu verbringen. Er war für mich nicht nur großer Bruder, sondern auch bester Freund.
Abends erzählte er gerne von seiner Arbeit auf dem Rittergut. Im Stall standen zahlreiche Pferde, die seinerzeit dort gezüchtet wurden. Die Schauergeschichten, die im Dorf vom Rittergut erzählt wurden, konnte er nicht bestätigen. Ein Kellerverlies hatte er nicht entdeckt und auch sonst kam es ihm wie ein völlig normaler Ort vor. Allerdings, so räumte er einmal ein, würde er dort nicht gerne alleine im Dunklen herumlaufen, denn es gab viele Ecken und Nischen, die vielleicht doch die eine oder andere Überraschung parat hielt.
Nach der ersten Woche normalisierte sich das Leben. Die Arbeit als Pferdeknecht war wenig abwechslungsreich, jeden Tag galt es die Tiere zu striegeln, zu füttern und zu tränken. Das Reiten der wertvollen Tiere übernahmen andere, als die gemeinen Pferdeknechte.
In der zweiten Woche kam Heinz aufgeregter als sonst nach Hause. Er platzte beinahe am Abendbrottisch vor Neuigkeiten.
„Heute habe ich Frau von Wegenstedt leibhaftig kennengelernt. Die anderen Stallknechte hatten mich schon gewarnt, aber ich musste es erst am eigenen Leib erfahren.“
„Was denn?“, fragte ich neugierig. Über die Herrschaften wusste ich wenig, ich hatte sie bislang nur flüchtig aus der Ferne gesehen, wenn sie durchs Dorf zu Pferd oder mit dem Automobil kamen.
Heinz verzog das Gesicht, bevor er weiter sprach. „Wenn Frau von Wegenstedt spricht, dann sehr schrill und laut, das tut richtig in den Ohren weh. Da musste ich sofort auf Abstand gehen.“ Heinz spießte eine Kartoffel auf. Mit der in der Luft erhobenen Kartoffel sprach er weiter. „Ihr Pferd war nicht rechtzeitig fertig gesattelt. Sie stand im Gang und schrie laut herum. Die ist grässlich." Er stopfte sich die Kartoffel in den Mund.
„Heinz", ermahnte ihn unsere Mutter. Er blickte sie fragend an, wusste er doch nicht, ob sie ihn wegen der Kartoffel oder dem zuvor Gesagten ermahnte.
„So spricht man nicht über seine Arbeitgeber." Streng blickte Mutter ihn an.
Er schluckte die Reste der Kartoffel
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