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Lindenallee

Lindenallee

Titel: Lindenallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Rohde
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hinunter. „Das ist doch noch harmlos. Du solltest mal hören, wie die anderen sprechen", protestierte Heinz.
    Gegen ihren Willen lächelte unsere Mutter, unser Vater schmunzelte.
    „Und was ist mit dem Herrn?", fragte ich neugierig.
    Alle warteten gespannt auf die Antwort von Heinz. Der ließ sich natürlich Zeit und genoss es im Mittelpunkt zu stehen. Er nahm sein Glas und trank einen Schluck, dann blickte er in unsere gespannten Gesichter.
    „Der ist ganz komisch." Vorsichtig blickte Heinz zur Mutter, die ihn dafür aber anscheinend nicht tadeln wollte. „Peter, ein anderer Stallknecht, sagt, der Herr benähme sich wie ein Snob." Heinz wusste zu dem Zeitpunkt nicht, was ein Snob war, aber das war auch egal, denn unsere Eltern nickten wissend.
    Ich saß da, mit einem großen Fragezeichen auf der Stirn. „Vater, was ist ein Snob?"
    Unser Vater war zwar nur Bauer, aber in der Schule hatte er immer gut aufgepasst und in seiner knappen Freizeit las er gerne Bücher. Wenn er nicht als ältester Sohn den Bauernhof hätte übernehmen müssen, wäre er vielleicht Lehrer geworden. Ich fand, mein Vater war ein sehr schlauer Mann. Am meisten bewunderte ich an ihm, dass er sich nie beschwert hat, eben doch nur Bauer geworden zu sein.
    Gerade dieser Hintergrund hatte ihn vermutlich veranlasst, uns Kinder wenigstens vom sechsten bis zum vierzehnten Lebensjahr zur Schule gehen zu lassen. Die Schulpflicht endete damals nach acht Jahren. In ihm muss die Hoffnung gewesen sein, dass aus uns etwas anderes werden könnte. Und er sollte Recht behalten, aber das geschah erst viel später.
    Nun galt es uns Kindern zu erklären, was ein Snob war. Mein Vater setze sich gerade auf. Ich glaube er überlegte, ob er es uns überhaupt erklären sollte, immerhin wurde hier über den Herrn des Rittergutes gesprochen. Gottlob entschied er sich, uns aufzuklären. Das tat er immer, denn nur wer gebildet war, konnte es im Leben zu etwas bringen. Das war ein Lebensmotto von ihm.
    „Das dürft ihr niemals außerhalb dieses Hauses erzählen", schwor uns Vater ein.
    Wir nickten ehrfürchtig.
    „Also", setzte er erneut an, „ein Snob ist ein Emporkömmling, der aus unteren sozialen Schichten stammt.“ Er vergewisserte sich, dass wir ihm aufmerksam zuhörten. „Im Dorf wird gemunkelt, dass er durch die Heirat von einem einfachen Mann zur Herrschaft aufgestiegen ist. Denn nachdem der Vater von Frau von Wegenstedt starb, übernahm sie das Gut. Ganz untypisch nahm er dann den Namen seiner Frau an. Seinen richtigen Namen hat nie jemand erfahren. Manch einer vermutete dahinter ein dunkles Geheimnis. Ich für meinen Teil vermute, er wählte den Namen seiner Frau, um in der Gesellschaft aufzusteigen. An sich ist es nichts Schlechtes, durch Heirat aufzusteigen. Aber ein Snob ist dadurch gekennzeichnet, dass er vergisst, wo er herkam und nur noch verächtlich auf die soziale Schicht hinabblickt, aus der er entstammt. Gemeine Dinge, an denen wir uns erfreuen, sind ihm zu wider. Ein Snob verkehrt nur noch in seinen höheren Kreisen. Es ist besser, ihm möglichst aus dem Weg zu gehen."
    Wie ich sagte, mein Vater war ein gebildeter Mann und er verstand es immer, die Dinge unserer kleinen Welt so zu erklären, dass wir verstanden und fürs Leben lernten.
    Ab diesem Tag bekam Herr von Wegenstedt bei uns den Spitznamen „Snob", seine Frau war nur noch die Frau Snob. Wir mussten aufpassen, dass wir den Spitznamen nur verwendeten, wenn wir unter uns waren. Wenn ich so recht überlege, haben wir uns damals nicht ganz an das Verbot unseres Vaters gehalten, denn wir mussten unser gewonnenes Wissen natürlich mit Friedrich teilen.
    Friedrich war darüber sehr amüsiert. „Meine Mutter sagt das auch. Eigentlich sagt es jeder, aber natürlich nur hinter vorgehaltener Hand."
    Wir waren in unserer geliebten Lindenallee. Der Spätsommer war eingezogen, die Nächte waren wunderbar warm, ein lauer Wind trieb den Geruch der nachtblühenden Pflanzen zu uns. Wir lagen im Gras und blickten in den dunklen Himmel, in dem die Sterne hell funkelten. Friedrich hatte uns einige der Sternenbilder erklärt. Den großen Bären erkannten wir auf Anhieb und der helle Polarstern war einfach auszumachen.
    „Wie weit die Sterne wohl weg sind?", überlegte Heinz.
    „Ziemlich weit weg", vermutete ich. Von Sternen hatte ich nun wirklich nicht viel Ahnung.
    „Also", das sagte Friedrich häufig, wenn er zu einer Erklärung ansetzte, „die Sterne sind ganz weit weg. Ihr müsst nur mal

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